1Q84: Buch 3
Blicken der Gaffer. Dann stieg sie, ohne ein Wort zu sprechen, wieder in ihr silberfarbenes Coupé. Sie wusste, dass Aomame ein Kind in sich trug. Und dass sie es schützen musste.
Aomame träumte einen neuen Traum. In diesem Traum wird sie in einem weißen Zimmer gefangen gehalten. Der kleine, würfelförmige Raum hat kein Fenster, nur eine Tür. Sie liegt auf dem Rücken in einem schmucklosen, spartanischen Bett und schläft. Eine Lampe über dem Bett beleuchtet ihren zu einem großen Hügel gerundeten Bauch. Er sieht gar nicht wie ihrer aus, und doch ist er zweifellos ein Teil ihres Körpers. Der Geburtstermin rückt näher.
Der Kahlgeschorene und der mit dem Pferdeschwanz bewachen das Zimmer. Sie sind fest entschlossen, keinen zweiten Fehler zu begehen. Einen haben sie bereits gemacht. Den müssen sie wettmachen. Die ihnen übertragene Aufgabe besteht darin, Aomame nicht aus dem Zimmer heraus- und niemanden zu ihr hineinzulassen. Sie warten darauf, dass das Kleine geboren wird. Offenkundig haben sie die Absicht, es ihr wegzunehmen, sobald es auf der Welt ist.
Aomame versucht zu schreien. Verzweifelt ruft sie um Hilfe. Aber Wände, Boden und Decke des Raums bestehen aus einem Spezialmaterial, das jeden Laut sofort erstickt. Nicht einmal ihre eigenen Schreie kann sie hören. Aomame betet, dass die Dame mit dem Mercedes-Coupé ihr zu Hilfe kommt. Ihr und dem Kleinen . Doch ihr Rufen ist vergeblich, ihre Stimme wird einfach von den weißen Wänden aufgesogen.
Das Kleine nimmt Nahrung durch die Nabelschnur auf und wird von Moment zu Moment größer. Es verlangt, der dunklen, lauen Wärme des Mutterleibs zu entkommen, und tritt gegen die Wände ihres Bauches. Es sehnt sich nach Licht und Freiheit.
Der Lange mit dem Pferdeschwanz sitzt an der Tür. Er hat die Hände auf die Knie gelegt und starrt auf einen undefinierbaren Punkt im Raum. Vielleicht schwebt dort eine feste kleine Wolke. Der Kahlkopf hat sich neben ihrem Bett postiert. Die beiden tragen dieselben dunklen Anzüge wie damals. Ab und zu hebt der Kahle den Arm und schaut auf die Uhr, wie jemand, der am Bahnhof auf die Ankunft eines wichtigen Zuges wartet.
Obwohl Aomame nicht gefesselt ist, kann sie ihre Arme und Beine nicht bewegen. Kein Glied kann sie rühren, und ihre Finger sind taub. Die Wehen kündigen sich an. Sie nähern sich so schicksalhaft und planmäßig, wie sich der Zug dem Bahnhof nähert. Sie nimmt schon das leise Vibrieren der Schienen wahr.
Da erwachte sie.
Sie war schweißgebadet. Sie duschte und zog frische Kleidung an. Die feuchten Sachen warf sie in die Waschmaschine. Sie wollte diesen Traum nicht, aber er kam eben ungebeten. Manchmal variierten einige Details in seinem Verlauf, doch der Schauplatz und das Ende blieben immer die gleichen. Das würfelförmige weiße Zimmer. Die anbrandenden Wehen. Die beiden Männer in den unpersönlichen dunklen Anzügen.
Sie wussten, dass Aomame das Kleine in ihrem Bauch trug. Oder würden bald davon erfahren. Aomame machte sich innerlich darauf gefasst. Wenn es sein musste, würde sie, ohne zu zögern, ein ganzes Neun-Millimeter-Magazin auf den Pferdeschwanz und den Kahlen abfeuern. Der Gott, der sie beschützte, vergoss bisweilen schließlich auch Blut.
Es klopfte. Aomame setzte sich auf einen Küchenhocker und umklammerte mit der rechten Hand die entsicherte Pistole. Draußen fiel seit dem Morgen ein kalter, winterlicher Regen und hüllte die Welt in seinen Geruch ein.
Das Klopfen hörte auf. »Guten Tag, Frau Takai«, sagte der Mann vor der Tür. »Ich bin’s, Ihr lieber Besuch von NHK . Tut mir leid, wenn ich Ihnen lästig werde, aber ich muss wieder mal wegen der Gebühren nachfragen. Ich weiß, dass Sie zu Hause sind, Frau Takai.«
Wir haben bei NHK angerufen, sagte Aomame stumm in Richtung Tür. Du bist nur einer, der sich als Kassierer ausgibt. Wer bist du? Und was willst du?
»Für Dienste, die man in Anspruch nimmt, muss man auch bezahlen. So funktioniert das in unserer Gesellschaft. Sie empfangen elektromagnetische Wellen, für die Sie Gebühren zahlen müssen. Es gehört sich nicht, etwas zu nehmen und nichts dafür zu geben. Das ist nichts anderes als Diebstahl.«
Seine heisere, aber tragende Stimme schallte durch das ganze Treppenhaus. »Nicht, dass ich persönlich etwas gegen Sie hätte. Ich hasse Sie nicht, und ich will Sie auch nicht bestrafen. Nicht im Geringsten. Aber Ungerechtigkeit kann ich partout nicht vertragen. Für das, was man in Anspruch nimmt, muss man
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