1WTC
in der dich der Wachmann umschubst. Die ist richtig gut. Hat so was Dramatisches.«
Jennifer zieht die Augenbrauen hoch. »Die? Ich finde die total peinlich. Da sehe ich doch ziemlich lächerlich aus.«
»Nein, du siehst wunderschön aus. Aber darum geht es nicht. Es geht um Dramatik, um den Gesamtablauf. Konflikte, Gewalt, das passt gut zum Thema.«
»Da gab es doch gar keine Gewalt! Der Wachmann hat mich doch nicht wirklich geschubst. Ich habe in meinen Pumps einfach die Balance verloren.«
»Das weiß der Zuschauer ja nicht. Dein Sturz bringt ein bisschen Action rein. Ich will nicht, dass der Film langweilig wird, dann schaut ihn keiner an.«
»Ich dachte, der Film soll kein Drama sein, sondern eher das Gegenteil. Du hast doch immer vom Reiz der Wiederholung gesprochen, immer die gleiche Szene an unterschiedlichen Settings, und man konzentriert sich auf die Unterschiede.«
»So ist das ja auch. Aber dazu gehört auch die Eskalation der Gewalt.«
»Wenn es dir um Action geht, dann muss da echt noch mehr passieren als nur ein kleiner Sturz. Ach, wo wir schon bei Action sind: Warum haben wir noch nicht am Ground Zero gedreht?«
»Da will ich auch noch drehen«, antwortet Mikael. Er lehnt sich zurück und schaut zu den Bildschirmen über der Bar. Gerade schaltet einer der Monitore zurück auf den Moment, in dem er mit Jennifer durch die Tür kam.
Mikaels Blick bleibt an den Bildschirmen hängen. Immer wieder dieselbe Szene. Menschen kommen zur Tür herein, Schnitt, das Gleiche wiederholt sich mit anderen Protagonisten. Ziemlich langweilig. Eigentlich wie in seinem Film.
Das Gelände von Ground Zero und das neue World Trade Center hat er sich für das Ende der Dreharbeiten aufgehoben. Nicht nur, weil es der Höhepunkt des Projektes sein soll, sondern auch, weil Mikael noch keine Idee hat, wie er mit Jennifer auf das Gelände der Baustelle gelangen kann. Außerdem braucht er für diesen Drehort noch eine besondere Idee. Warum nicht eine Szene drehen, die ganz anders ist als die anderen? Mit einem Überraschungsmoment? Oder Sex? Syana hat ihn auf diese Idee gebracht. Ihre Überwachungskameras im Fahrstuhl und in seinem Studio machen ihn an.
Mikael nimmt noch einen Schluck Wein, der Kellner bringt den nächsten Gang.
»Natürlich habe ich auch etwas auf Ground Zero vor«, beginnt er. »Ich würde da gerne die Abschlussszene drehen. Ich weiß nur nicht, wie wir da reinkommen.«
»Ich hab da eine Idee. Mein Exfreund Tom, den hab ich dir im Twelve21 gezeigt.«
»Ja, ich erinnere mich. Was ist mit dem?«
»Tom ist Architekt und arbeitet seit ein paar Monaten bei SOM. Er plant mit am 1 WTC. Ich kann ihn fragen, ob er mir mal seine Baustelle zeigt.«
Tom ist wieder mal der Letzte im Büro, sitzt noch über den Detailzeichnungen für die Wasserbecken im Verhörparadies. Florale Motive, changierende Farbverläufe, Mosaike. Die erste Bemusterung ist gerade abgeschlossen, probeweise wurde ein Whirlpool eingebaut, ein Kronleuchter aufgehängt und ein paar Sessel aufgestellt. Plötzlich vibriert sein Handy. Eine SMS. Von Jennifer.
»Hallo Tom. Würde dich gerne mal wiedersehen. Küsse. J.«
Toms Herz schlägt schneller. Sofort schreibt er ihr zurück: »Gerne. Wann und wo? T.«
»Das ging ja schnell.« Jennifer zeigt Mikael Toms SMS. Inzwischen sind sie an die Bar gewechselt und trinken Cocktails. Mikael ist von der Architektur etwas enttäuscht, er hat mehr erwartet als nur Surveillance-Entertainment, das den Gästen Gesprächsstoff fürs Abendessen liefert und die Eitelkeit befriedigt, weil man sich und die anderen auf dem Monitor betrachten kann. Ob es sich lohnen würde, hier mit Syana die Kameras zu hacken? Ist doch alles nur kitschige Selbstbespiegelung.
»Was meinst du«, fragt Mikael, »sollen wir in der letzten Szene ein bisschen Sex einbauen? Voyeurismus und so?«
Jennifer überlegt einen Moment. »Nein, das passt nicht. Du solltest bei deinem eher minimalistischen Konzept bleiben.«
Halbtotale von oben. Extremer Weitwinkel. Flackernde Videoästhetik. Schwarz-weiß. Ohne Ton.
Mikaels Studio, die Wand mit dem Stadtplan, die einzelnen Drehorte, die Fotos der Kameras etc.
Mikael und Jennifer betreten den Raum. Sie stehen eine Weile vor der Wand mit den Fotos, dann ziehen sie sich aus.
Jennifer schlüpft unter die Decke, Mikael legt sich zu ihr. Die Kamera zoomt in eine Detailaufnahme von Jennifer. Sie schließt die Augen, man sieht, dass ihr Atem tiefer und heftiger wird. Sie klammert sich an Mikaels
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