1WTC
Rücken fest. Der Mund steht offen, der Kopf liegt im Nacken. Ein Zucken, dann entspannt sie sich wieder und öffnet die Augen.
Sie schaut genau in die Kamera.
Die Kamera zoomt zurück in die Halbtotale.
Jennifer stößt Mikael weg und zeigt in Richtung Kamera. Ihre Lippen bewegen sich schnell, sie schüttelt den Kopf, springt auf und holt etwas von Mikaels Schreibtisch. Dann stellt sie einen Stuhl direkt unter die Kamera und klebt das Objektiv mit Klebeband ab.
Die Streifen verdichten sich, bis das ganze Bild schwarz ist.
Blende.
»Du filmst uns beim Sex?« Jennifer steigt vom Stuhl und zieht sich kopfschüttelnd an.
»Hey, Mikael, ich hab dich was gefragt! Bist du ein Spanner oder was? Ja, ja, Sex and Crime. So hast du dir das also vorgestellt. Und jetzt willst du wohl noch ein paar Sexszenen von der eigenen Überwachungskamera in den Film einstreuen, oder was?«
»Nein«, antwortet Mikael. Mehr fällt ihm nicht ein.
»Was denn dann?«
Jennifer packt ihre Sachen zusammen. Mikael sitzt auf dem Sofa und starrt ins Leere, Jennifer zieht ihre Schuhe an und geht zur Tür.
»Kommt noch was? Am besten, du schickst den Film an Tom. Der rastet dann aus, wenn er mich über die Baustelle führt, und du hast nicht nur Sex, sondern gleich auch noch Gewalt in deinem Überwachungsthriller!« Sie knallt die Tür hinter sich zu.
»Jennifer!« Mikael zieht sich schnell eine Hose und ein T-Shirt an und rennt barfuß aus dem Studio. Der Fahrstuhl ist blockiert. Das Handy hat er in der Wohnung liegen gelassen. Mikael läuft die Treppen runter und auf die Straße. Zu spät.
Das hat er gründlich versaut. Er ruft Jennifer an, doch die geht nicht dran. Erst Stunden später erreicht er sie.
»Jennifer, bitte, leg jetzt nicht auf.«
Schweigen.
»Was willst du mir denn sagen?«, fragt Jennifer endlich.
»Ich kann dir alles erklären. Bitte, gib mir noch eine Chance. Können wir uns treffen?«
»Ich bin gleich mit Tom verabredet. Danach hab ich Zeit. Um acht, im PDT. Wie beim letzten Mal.«
Das D’Espresso ist ein kleines Café unweit der Public Library. Es gibt guten Espresso, und Jennifer mag die Einrichtung. Fast immer, wenn sie in der Bibliothek ist, kommt sie in der Mittagspause hierher. Als sie die Tür aufmacht, ist Tom schon da. Er sieht müde aus.
Sie umarmen sich kurz.
»Schön, dich wiederzusehen. Du siehst gut aus.«
»Du auch«, lügt Jennifer und setzt sich.
»Kaffee?«
»Gerne.«
Tom geht zur Bar. Jennifer betrachtet ihn von hinten und erinnert sich an die gemeinsame Zeit. Sie ist froh, dass diese Phase vorbei ist. Auf Mikael ist sie trotzdem wütend. Aber alles, worauf sie sich mit Mikael einlässt, ist ihr tausendmal lieber als die Langeweile mit Tom.
Tom kommt zurück an den Tisch. »Wie geht‘s dir?«
»Gut. Ist gerade alles ziemlich aufregend. Ich dreh einen Film. Ein Kunstprojekt. Und bei dir? Wie läuft dein Job bei SOM?«
Tom würde Jennifer am liebsten in alles Einweihen, sein Dilemma, seine Ängste und Zweifel ausbreiten. Aber das geht nicht. Sie ist zu weit weg. In dem überfüllten Café fühlt er sich trotz der vielen Menschen einsam.
»Ein bisschen anders, als ich es mir vorgestellt habe, aber trotzdem spannend.«
»Wie oft bist du denn auf der Baustelle?«
»Nicht sehr häufig, einmal die Woche vielleicht.«
»Schon verrückt. Davon hast du ja immer geträumt, bei einem wirklich großen, politisch relevanten Projekt mitzumachen, und jetzt arbeitest du am 1 WTC mit. Das ist ja praktisch noch größer als groß, ein richtiges Symbol.« Jennifer weiß, wie sie Tom schmeicheln kann.
»Die Baustelle ist schon aufregend. Wenn man plötzlich sieht, wie der Entwurf konkrete Formen annimmt. Das geht alles wahnsinnig schnell, wir bauen ja unter großem Zeitdruck. Das Gebäude wird zwar erst 2013 fertig, aber zum zehnten Jahrestag der Anschläge soll es schon möglichst weit sein. Damit die Welt sieht, dass wir uns nicht in die Knie zwingen lassen. Wir demonstrieren Stärke.« Tom klammert sich an die Worthülsen, die ihm aus den Meetings bei SOM im Ohr geblieben sind.
Jennifer hat keine Lust auf Toms Rhetorik. Aber da muss sie jetzt durch.
»Tom«, sagt sie und neigt ihren Kopf ein wenig zur Seite, »kannst du mir einen Gefallen tun? Zeigst du mir mal die Baustelle?«
»Wieso denn das?«
»Na, weil es mich einfach interessiert.«
»Seit wann interessierst du dich denn für Baustellen?«
»Also bitte, Tom, es ist schließlich nicht irgendeine Baustelle. Es ist die Baustelle.«
»Ich
Weitere Kostenlose Bücher