2 Die Rinucci Brüder: Mein zärtlicher Verrführer
aber auch gefährlich.
Erstaunt über sich selbst, schüttelte Primo den Kopf. Er war immer so stolz darauf gewesen, sich niemals irgendwelchen Fantasien hinzugeben und stets Vernunft walten zu lassen. Doch wie sollte er beim Anblick einer so außergewöhnlichen Frau nicht in Begeisterung geraten? Sie erweckte den Eindruck, ein ernster, nüchtern denkender Mensch zu sein, kümmerte sich, was ihre Frisur betraf, nicht um die neueste Mode und schlief in einem Seidenpyjama, der elegant und zweckmäßig war. Wahrscheinlich war ihr nicht bewusst, dass sich unter dem feinen Material ihre hohen, festen Brüste, ihre schmale Taille und die wohlgerundeten Hüften abzeichneten.
Schließlich nahm Primo sich zusammen und sah sich in dem Raum um. In dem gedämpften Licht entdeckte er die Kissen und Decken auf dem Sofa, und ihm dämmerte, dass sie hier geschlafen und ihm ihr eigenes Bett überlassen hatte.
Eigentlich müsste ich mich zurückziehen, es gehört sich nicht, dass ich sie unbemerkt beobachte, mahnte er sich. Doch erst nach ungefähr zwei weiteren Minuten gelang es ihm, sich von dem Anblick loszureißen und die Tür behutsam zuzumachen.
Während er sich anzog, lief er betont geräuschvoll im Zimmer umher, um sie zu warnen. Und als er die Tür wieder öffnete, hatte Olympia schon die Kissen und Decken weggeräumt und kam lächelnd aus der Küche. Sie trug Jeans und einen Pullover und hatte das Haar mit einem Schal im Nacken zusammengebunden.
„Guten Morgen“, begrüßte sie Primo fröhlich.
Unter normalen Umständen wäre ihm aufgefallen, wie aufgesetzt ihre Fröhlichkeit wirkte, aber momentan konnte er keinen klaren Gedanken mehr fassen.
„Wie geht es Ihnen?“, fragte sie.
„Danke, viel besser, nachdem ich so gut geschlafen habe. Ich bin Ihnen sehr dankbar für alles, was Sie für mich getan haben. Es war richtig, dass Sie den Arzt gerufen und mich nicht ins Hotel
zurückgeschickt haben.“
„Ja. Den Arzt hätten Sie bestimmt nicht gerufen. Männer handeln selten vernünftig.“
Er verzog das Gesicht. „Dann bin ich wohl die Ausnahme. Meine Mutter hält mir regelmäßig vor, ich sei zu vernünftig. Sie stellt mir immer wieder irgendwelche Heiratskandidatinnen vor und regt sich dann auf, dass ich sie mit meiner nüchternen Art in die Flucht schlage. Schon oft genug habe ich ihr versichert, ich würde eines Tages die Frau finden, die zu mir passt und genauso vernünftig ist und so nüchtern denkt wie ich, so dass keiner von uns beiden merkt, wie langweilig der andere ist.“ Sie musste lachen. Auf sie wirkte er keineswegs langweilig. Mit der Kraft und Energie, die er ausstrahlte, schien er ihre allzu ordentlich und sachlich möblierte Wohnung zu beherrschen. Sie wusste nun, dass er unverheiratet war, und war froh darüber, wie sie sich beunruhigt eingestand, denn es hätte ihr egal sein müssen.
„Oh, da könnte ich Ihnen helfen“, scherzte sie, um ihre Beunruhigung zu überspielen. „Ich kenne einige ziemlich langweilige Frauen, die über Ihre Schwächen hinwegsehen und mit Ihnen
zurechtkommen würden.“
„Vielen Dank“, antwortete er ironisch. „Und da ich gerade dabei bin, mich bei Ihnen zu bedanken, möchte ich nochmals betonen, wie gut es war, dass Sie trotz meines Protests den Arzt geholt haben.“
„Ach, wenn ein Mann etwas Dummes sagt, ignoriere ich es einfach.“
„Das glaube ich Ihnen unbesehen.“
Sie lachten beide. „Übrigens, falls Sie es noch nicht bemerkt haben: Das Badezimmer ist da drüben.“ Sie wies in die Richtung.
Er holte das Wasch- und Rasierzeug, das sie für ihn gekauft hatte, und verschwand. Sie versteht es, perfekt zu organisieren, und macht überhaupt nichts falsch, dachte er.
Aber andererseits hatte sie eine scharfe Zunge, die sie nicht im Zaum halten konnte, obwohl sie versuchte, sich unter Kontrolle zu haben. Diese Seite an ihr fand Primo sehr interessant, und er war der Meinung, es würde sich lohnen, diese Frau näher kennenzulernen. Ihm war jedoch klar, wie schwierig es sein würde, denn Olympia ließ niemanden an sich heran.
Als er aus dem Badezimmer kam, hörte er sie in der Küche hantieren. Nachdenklich sah er sich in der Wohnung um und hatte wieder das Gefühl, es fehlte etwas. Plötzlich wusste er, was ihn störte. Es herrschte perfekte Ordnung in dem Apartment, das elegant, aber zweckmäßig möbliert war. Und das war auch schon alles. Es hatte keine Atmosphäre, und es gab keine persönlichen Dinge, die etwas über ihre Persönlichkeit
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