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20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

Titel: 20 - Im Reiche des silbernen Löwen I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Tränke zu gehen. Freilich, wer ihr da begegnet, dem ist sie noch gefährlicher als ihr ‚Herr mit dem dicken Kopf‘.
    Die Scherarat hüteten sich zwar, mit uns zu verkehren, doch war ihr Verhalten nicht feindselig zu nennen. Sie betrachteten uns schon jetzt als tote Menschen und hegten ein aus Stammeshaß, Mitleid und Bewunderung gemischtes Gefühl für uns. Nur der Scheik suchte uns zuweilen auf, um ein freundliches Wort zu sprechen, doch auch nur für kurze Zeit. Ich benutzte die uns gebotene Muße, Halef und seinem Sohn ihr Verhalten für die nächste Nacht einzuprägen, wobei wir bemerkten, daß die Scherarat dürres Holz sammelten und in Bündeln vereinigten. Da Wasser vorhanden war, gab es auch Sträucher im ganzen Wadi.
    Ungefähr eine Stunde vor der Dämmerung mahnte uns der Scheik zum Aufbruch. Er wollte mit seinen Leuten bei einem großen Feuer am Brunnen bleiben, denn er hielt sich für sicher, weil die Löwen ja uns zu fressen bekamen, was er uns freilich nicht sagte. Er wollte uns selbst mit mehreren Holzbündel tragenden Scherarat nach der Ruine führen, was kein Wagnis war, weil der Löwe des Nachts sein Lager verläßt und am Tag nur durch Steinwürfe und großen Lärm gezwungen werden kann, herauszutreten.
    Wir gingen das ziemlich lange Wadi hinauf bis zum oberen Brunnen, wo wir an den deutlichen Spuren erkannten, daß dieser jetzt allerdings eine Löwentränke sei, doch ließen wir uns das nicht merken. Dann ging es steil zwischen den Felsen aufwärts, wobei die Scherarat ihre Angst nicht verbergen konnten. Endlich kamen wir an eine hohe, vielfach zerrissene Mauer, durch welche ein jetzt eingefallenes Tor führte. Hier legten sie ihre Bündel nieder, und der Scheik sagte:
    „Hinter dieser Mauer liegt der Hof, den ihr bis früh nicht verlassen dürft, und hier ist Holz zum Feuer. Allah beschütze euch!“
    Sie gingen; einer aber blieb noch einen Augenblick stehen und sprach:
    „Der Sahhar läßt euch eine gute Nacht wünschen und hierauf einen guten Morgen im Bauch des Scheba et Thar.“
    „Er mag sich selbst vor diesem Bauch hüten; wir kommen nicht hinein!“ antwortete Halef; dann trollte sich der Mann auf das schnellste fort.
    Ich trat vorsichtig unter das Tor und sah in den Hof. Er war rundum an den Mauern mit Gestrüpp bewachsen und bildete ein großes Rechteck, durch dessen Hinterwand ein auch zusammengebrochenes Tor in das Innere der Ruine führte. Da drinnen, aber nicht im Hof war das Lager der Löwen; das sagte mir gleich der erste Blick, der auf die unverkennbaren Spuren fiel. Die rechte Seitenmauer hatte bei ihrem halben Einsturz einen hohen Schutthaufen gebildet, der uns eine ausgezeichnete Warte bot. Wenn unten an demselben das Feuer brannte und wir oben saßen, wagte sich gewiß kein Löwe durch die Flammen hinauf zu uns. Wir hatten lange gebraucht, um heraufzukommen; darum gingen wir zu dem Schutthaufen, legten unten ein Häuflein Reiser zum Anzünden zurecht, schafften den ganzen Holzvorrat hinauf und machten es uns dann oben so bequem wie möglich. Dann dämmerte es, und bald darauf wurde es dunkel. Da der Löwe erst später ausgeht, warteten wir mit dem Feuer noch; doch als es ungefähr neun Uhr geworden war, stieg ich hinab, brannte das Holz an und schwang mich wieder hinauf. Da lagen wir, die Gewehre schußfertig in den Händen, nebeneinander, warfen von Zeit zu Zeit Holz in das Feuer hinab und warteten auf das Erscheinen des Königs der Tiere.
    Mein Puls ging wie gewöhnlich; Halef war zwar unruhig, aber keineswegs ängstlich; Kara, das brave junge Kerlchen, zeigte nicht die geringste Spur von Aufregung. Beide wußten, daß sie nur auf mein ausdrückliches Geheiß schießen und dabei nur nach dem Auge zielen durften.
    Wenn ich sage, daß ich keine Spur von Angst vor den Löwen in mir hatte, so ist das keineswegs eine Prahlerei. Auch ich bin überzeugt, daß weder Halef noch sein Sohn sich fürchteten; wenn sie etwas fühlten, so war es wohl nur das, was man Jagdfieber zu nennen pflegt. Daß Halef mit seinem Gewehr umzugehen verstand, weiß jeder, der ihn kennt, und er hatte durch unausgesetzte Übung dafür gesorgt, daß auch Kara Ben Halef trotz seiner Jugend schon ein guter Schütze zu nennen war. Wenn ich eine Besorgnis gehabt hätte, so wäre das nur eine Folge der heutigen niedrigen Temperatur gewesen; es war nämlich sehr kalt.
    Man stellt sich Innerarabien fälschlicherweise als ein Land vor, welches unter einem immerwährenden Sonnenbrand liegt; dies ist aber nicht

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