20 - Im Reiche des silbernen Löwen I
lauschten in einer Spannung, die nicht zu beschreiben ist, und brauchten nicht lange zu warten. Wir hörten sehr bald draußen vor dem Tor ein Zerren und Reißen, ein Kratzen von schweren Tatzen.
„Achtung!“ flüsterte ich. „Er kommt mit der Beute im Rachen.“
Ja, da kam er herein, einen schweren Gegenstand schleppend. Ich wollte Kara den Ruhm gönnen, einen Schuß auf den Löwen abgefeuert zu haben, und gab ihm das verabredete Zeichen. Der Löwe brachte Beute für die Jungen; da sah er die Löwin liegen, tot in ihrem Blut; er ließ den Raub fallen, hob den Kopf empor und brüllte, daß ich glaubte, unsern Schutthügel zittern zu fühlen. Dann starrte er, den Täter suchend, mit weit geöffneten Lichtern nach unserm Feuer herüber.
„Jetzt, Kara, ins Auge, jetzt, jetzt!“ sagte ich.
Ich hatte diese Aufforderung noch nicht ganz ausgesprochen, so fiel sein Schuß. Ein kurzes Brüllen folgte, wie wenn Blitz und Donner zusammenfällt; dann flog der Löwe im Sprung nach dem Feuer hoch durch die Luft. Die Mündung meines Bärentöters folgte ihm, und meine Kugel traf ihn in das Herz, so daß er kurz vor dem Feuer zu Boden fiel; er warf sich nur einmal von einer Seite auf die andere; ein Zucken durchlief seine Gestalt; dann streckte er die Glieder; er war tot.
Halef jubelte laut auf, obgleich er nicht zum Schuß gekommen war, und Kara stimmte ein. Auf meinen vorsichtigen Rat stiegen wir erst nach einstündigem Warten von unserem Schutthaufen herab, um die Tierleichen zu untersuchen. Kara hatte den Löwen in das Auge getroffen, also tödlich, und das Tier gehörte also ihm, obgleich meine Kugel dann in das Herz gedrungen war. Wie jubelten die beiden, und mit welchem Stolz umarmte der Vater seinen Sohn! Die Löwin war auch tot, ebenso in das Auge getroffen; sie gehörte mir. Dann leuchteten wir mit Feuerbränden weiter. Was waren das für Körper, welche die beiden Tiere erbeutet hatten? Menschliche, wie wir mit Grausen sahen! Aber man denke sich unsere Gefühle, als wir bei näherer Untersuchung die Reste vom Zauberer und seinem Sohn erkannten! Wir standen starr, und nur zitternd kam es über Halefs Lippen:
„O Sihdi, meine Prophezeiung, meine Prophezeiung! Der Scheba et Thar hat sie gefressen!“
Wie gern wären wir in das Wadi hinabgestiegen; aber wir mußten unsere Vereinbarung wörtlich erfüllen und bis zum Morgen warten. Wie uns die Nacht vergangen ist, darüber will ich schweigen. Als der Tag graute, suchten wir zunächst das Lager der Löwen; wir fanden ein Junges, männlichen Geschlechts, welches wir töteten, da es kaum zwei Wochen alt und also nicht zu transportieren war. Dann stiegen wir, nachdem wir den Raubtieren die Felle abgezogen hatten, zu Tal.
Die Scherarat hatten vor Aufregung nicht geschlafen; wie staunten sie, als sie uns unverletzt mit den Häuten kommen sahen! Und mit welcher Spannung erkundigten sie sich nach dem Zauberer und seinem Sohn! Wir erzählten ihnen, was geschehen war, und bekamen von ihnen den Zusammenhang erklärt. Es war Abu el Ghadab mit noch vier andern Scherarat gelungen, aus der Gefangenschaft zu entkommen; sie hatten gestern abend das Wadi Achdar erreicht, nicht am Eingang, sondern an der Südseite desselben, und nicht daran gedacht, daß es jetzt da Löwen gab. Ghadab hatte für diese Nacht nach der Ruine und nicht nach dem Brunnen gewollt, weil da feindliche Beduinen sein könnten; die andern aber waren durstig und widersprachen ihm. Da trennte er sich zornig von ihnen, um den Außenweg nach dem Kasr emporzusteigen, und sie wandten sich nach dem untern Brunnen, wo sie auf ihre Stammesgenossen trafen. Als der Zauberer hörte, daß sein Sohn entkommen sei, war seine Freude groß; aber als er vernahm, daß er den Weg nach der Ruine eingeschlagen habe, faßte ihn der Schreck so, daß er sogleich fortrannte nach dem obern Brunnen, um seinen Sohn durch Zurufe zu warnen. Dort hatte ihn der Löwe fast in demselben Augenblick überfallen, an welchem Ghadab von der Löwin zerrissen worden war.
„Scheba et Thar!“ rief Halef aus. „Sie haben Gott gelästert und darum das Ende gefunden, welches ich ihnen vorhersagte. Es war das eine Eingebung vom Himmel, der ich gehorchte!“
Ich kann nicht sagen, daß die Scherarat großes Leid über den Verlust der beiden Toten verrieten; größer jedenfalls als diese Trauer war ihre Freude über die Erlegung der Löwen, die ihren Herden so großen Schaden zugefügt hatten. Sie konnten nicht begreifen, daß wir gewußt hätten, um
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