20 - Im Reiche des silbernen Löwen I
ging zu meinen Gefährten hin. Dabei mußte ich an dem Zauberer vorüber; er konnte sich doch nicht enthalten, mich mit sichtbarer Schadenfreude im Gesicht anzuzischen:
„Ihr seid verloren, denn schon höre ich im Geist den Scheba et Thar brüllen, der euch verschlingen wird!“
„Nimm dich in acht, daß er dich nicht selbst verschlingt!“ antwortete ich.
„Er verschlingt bloß Christen, deren Gott ohnmächtig ist, sie zu schützen; ich aber brauchte nur die Hand zu erheben, so würde er vor mir fliehen.“
„Lästere nicht! Dich für mächtiger als den Gott der Christen zu halten, ist eine Sünde, welche dir nicht vergeben werden kann.“
„Er mag mich dafür bestrafen!“ lachte er höhnisch. „Jeder Sahhar kann mehr als er!“
Da legte ich ihm erschrocken die Hand auf den Arm und sagte:
„Möge Gott, der allmächtig und gerecht ist, diese Verhöhnung nicht wie einen zermalmenden Felsen auf dich zurückschmettern! Mir graut vor dir. Du sagtest, daß du Macht habest, über alle Geister der Erde und der Unterwelt; warum wollen die Geister droben in der Ruine nicht vor dir weichen? Warum sollen wir sie vertreiben? Weil du lügst, weil du nichts, gar nichts kannst und dich fürchtest, selbst nach der Ruine zu gehen, um die Geister zu vertreiben. Ich als Christ habe keinen Djinn und keinen Geist zu fürchten. Wir werden morgen früh gesund und wohlgemut vom Kafr herunterkommen und euch dann die Geister zeigen, die von uns besiegt worden sind.“
„Nichts werdet ihr, gar nichts!“ fauchte er mich grimmig an. „Du bist ein Giaur, der in die Hölle gehört; deine Gefährten sind nicht besser als du, und darum wird sie ganz dieselbe Vernichtung treffen. Mein Sohn hat euch prophezeit, daß euch der Scheba et Thar verschlingen werde, und diese Weissagung wird heute abend an euch in Erfüllung gehen; wir werden morgen die Reste eurer Knochen finden und nicht denken, daß sie Menschen angehörten, sondern räudigen Hunden, welche wegen ihrer Unreinlichkeit aus den Zelten vertrieben worden sind!“
Es zuckte in meinen Fäusten, doch bezwang ich mich und schwieg; Halef aber hatte nicht dieselbe Selbstbeherrschung; er griff nach der Peitsche in seinem Gürtel, trat hart an den Sahhar heran und rief:
„Womit vergleichst du uns? Mit räudigen Hunden? Soll ich dir dafür die Peitsche geben, wie ich sie schon auch deinem Sohn für eine ähnliche Beleidigung in das Gesicht gezeichnet habe? Wenn deine ganze, große Macht nur darin besteht, Gefangene zu verhöhnen und Gott zu lästern, so wird, wenn die Scham dich nicht schon vorher umbringt, nicht unser Gebein, sondern das deinige gefunden werden. Gott wird dich richten. Und wie ich deinem Sohn vorhergesagt habe, daß nicht uns, sondern ihn, der Scheba et Thar fressen werde, so sage ich jetzt auch dir, daß er nicht uns, sondern dich in seinem Rachen verschwinden lassen wird. Denke an meine Worte; ich weiß, was ich sage, denn ich bin Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah, der Scheik der Haddedihn vom Stamm esch Schammar, und du wirst nicht der erste Gottesverhöhner sein, den ich an seiner eigenen Lästerung in die Hölle gehen sehe!“
Schon griff der Zauberer drohend an sein Messer, da wurde er von den Verständigen unter den Scherarat umringt, und der Scheik bedeutete ihm allen Ernstes, daß er nun keine weitere Beleidigung der von ihm Beschützten dulden werde. Ich zog Halef fort, und so nahm diese Szene nicht das schlimme Ende, welches zu befürchten gewesen war.
Der kleine, brave Hadschi hatte in zorniger Begeisterung gesprochen und wie ein Prophet vor dem Sahhar gestanden; aber niemand ahnte, daß seine geharnischte Rede wirklich eine Prophetie enthalten hatte; wir mußten das erst später mit heiligem Schreck erfahren.
Der Plan für heute abend war von dem Zauberer sehr pfiffig ausgedacht. Der Löwe ist, wenn er Junge zu ernähren hat, doppelt gefährlich, doch hätten wir im Dunkel der Nacht uns verstecken und ihm wohl entgehen können, wenn dies unsere Absicht gewesen wäre; aber man hatte uns die Bedingung auferlegt, während der ganzen Nacht Feuer zu brennen, und da wir den Hof nicht verlassen durften, so mußten wir unbedingt von ihm bemerkt und angegriffen werden. Hierbei sei gesagt, daß die säugende Löwin das Lager nur selten verläßt; der männliche Löwe hat sie und die Jungen zu versorgen und bringt seine Beute oft von weither nach dem Lager geschleppt, von welchem sie sich meist nur entfernt, um zur
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