20 - Im Reiche des silbernen Löwen I
dieses schöne Wadi und euch alle von den Feinden befreit, deren Erlegung ihr mit dem Leben vieler eurer Krieger bezahlen müßtet. Wie lange wohnt der Löwe mit seiner Frau schon hier im Tal?“
„Seit drei Wochen. Er holt sich fast in jeder Nacht ein Pferd oder Kamel; Allah verdamme ihn!“
„Wo hat er seine Wohnung aufgeschlagen?“
„Droben im großen Hohsch el Harab (Hof der Ruine). Er kommt täglich des Abends mit seiner Frau in das Wadi herab, um am hinteren Brunnen zu trinken. Aber jetzt darf ich euch weiter nichts verraten. Kommt, ich soll euch zur Dschema bringen!“
Er führte uns zu der Versammlung der Ältesten, deren Urteil wir stehend anhören sollten; ich machte aber kurzen Prozeß und setzte mich; Halef und Kara folgten meinem Beispiel. Da fuhr uns der Zauberer zornig an:
„Wie könnt ihr es wagen, euch im Rat der weisen und erfahrenen Männer niederzusetzen. Ihr seid –“
„Schweig!“ unterbrach ich ihn, um ihm gleich im Anbeginn zu zeigen, wie wenig ich mir aus ihm machte. „Ich würde diesen ehrwürdigen Männern gern die Achtung zollen, welche ich für sie hege; aber weil du mit hier bist, so setzen wir uns. Weißt du, was ich in meinem Land und bei meinem Volk bin? Und wer oder was bist denn du? Du bist gegen mich wie eine dreiste Fliege, welche glaubt, mit ihrem Summen und Brummen den Löwen erschrecken zu können.“
Da fuhr seine Hand nach dem Messer, und er donnerte mich an:
„Hund, Giaur! Kennst du die Macht, welche ich gegen und über alle Geister und Mächte der Erde und der Unterwelt besitze? Ich brauche nur die Hand zu erheben, so fällst du tot zur Erde!“
„Tu es doch!“ lachte ich. „Mir machst du nicht bange, denn ich kenne dich. Du bist ein Feschschahr (Großmaul), der gar nichts kann, ein Gaschschahsch (Hokuspokusmacher), mit dem ich gar nicht sprechen würde, wenn dich nicht diese achtunggebietenden Greise beauftragt hätten, mir ihren Entschluß mitzuteilen.“
Da sprang er wütend auf und schrie:
„Ihr Krieger der Scherarat, schießt ihn nieder, denn stinkenden Schakal, sofort, sofort!“
Ich sprang, obgleich niemand sein Gewehr gegen mich erhob, augenblicklich nach einem nahen Felsstücke, nahm Deckung hinter demselben, legte den Stutzen an und rief:
„Wer wagt es, die Hand gegen uns zu erheben? Ihr seht, daß mich hier keine Kugel treffen kann; hier aber ist mein Zaubergewehr, welches sofort jeden tötet, der seine Hand gegen einen von uns erhebt!“
Es war interessant zu sehen, mit welcher Angst und Eile die Beduinen zu beiden Seiten meiner Schußlinie zurückwichen. Der Zauberer schien auf einmal seine Sprache verloren zu haben; die Alten sprachen leise miteinander; dann rief mir der Scheik zu:
„Sei ruhig, Emir! Noch steht ihr unter meinem Schutz, und es wird euch bis morgen früh kein Leid geschehen.“
„Unsinn! Nicht wir haben uns vor euch, sondern ihr habt euch vor uns zu fürchten! Ich bleibe hier stehen, das Zaubergewehr in der Hand. Wer uns nur mit einem Wort beleidigt, dem jage ich eine Kugel durch den Kopf. Nun sagt mir kurz, was die Dschema beschlossen hat; Prahlereien aber mag ich nicht hören!“
Daß mein Verhalten den von mir beabsichtigten Eindruck machte, erkannte ich an dem Ausdruck der Blicke welche von rundum auf mir hafteten. In der Dschema wurde wieder leise beraten; dann wendete sich der Zauberer an mich, und zwar in einem ganz andern Ton als vorher:
„Es ist folgendes beschlossen worden, was ich dir erst erklären wollte, nun aber nur kurz sagen werde: Droben im Hof der Ruine wohnen Geister, welche sich nicht aus dem Wadi entfernen wollen; ihr sollt in nächster Nacht mit ihnen kämpfen. Wenn ihr uns euer Wort gebt, nicht zu fliehen, sollt ihr bis zur Dämmerung bei uns sein, nicht als ob ihr Gefangene wäret; dann geht ihr hinauf in den Hof. Ihr habt euch ein Feuer anzubrennen und bis morgen früh zu unterhalten. Kommt ihr dann herab, ohne daß die Geister euch erwürgt haben, so seid ihr frei.“
„Ist das alles?“ fragte ich.
„Ja.“
„Wir gehen auf eure Forderungen ein. Wir werden, wenn der Tag sich neigt, hinaufsteigen, um im Hof der Ruine bis morgen früh ein Feuer zu brennen und mit den Geistern zu kämpfen. Aber daß wir frei sind und ungehindert fortreiten können, wenn wir früh wohlbehalten herunterkommen, darauf mag die Dschema mir ihren Schwur geben!“
Als dieser Eid, den ich vorsprach, mit volltönenden Stimmen geleistet worden war, fühlte ich mich sicher, legte das Gewehr wieder ab und
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