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20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

Titel: 20 - Im Reiche des silbernen Löwen I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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des Blutbades aus gewissen Gründen zu schonen waren, so wurden mißliebige Personen mit der Schuld beladen und mußten büßen, was sie nicht verbrochen hatten.“
    „Diese deine Ansicht ist richtig. Man machte sehr kurzen Prozeß mit mir und verurteilte mich zum Tode. Ich erleichterte dem Gericht allerdings diesen Spruch durch mein Verhalten. Anstatt mich ruhig zu verteidigen, beleidigte ich in meinem halbwahnsinnigen Zustand die Richter, die überhaupt schon gegen mich waren, in einer Weise, daß an eine Schonung ihrerseits nicht zu denken war. Schon in der Dämmerung desselben Tages wurde ich mit anderen Verurteilten an Ort und Stelle geführt, um erschossen zu werden. Es waren Soldaten meiner eigenen Kompanie, welche die Vollstreckung auszuführen hatten, unter ihnen mein Kepek, der Onbaschi. Als den armen Sündern die Augen verbunden wurden war er es, der zu mir trat. Indem er mir das Tuch anlegte, hörte ich ihn leise sagen ‚Fall um, wenn wir schießen, und bleib unbeweglich liegen! Wir sind übereingekommen, daß keiner auf dich zielen wird, und auch der Asker Hakimi (Militärarzt) ist einverstanden.‘ Ich muß da bemerken, daß meine Untergebenen mir alle wohlwollten, weil ich gegen sie stets so nachsichtig gewesen war, wie es sich mit meiner Pflicht vertrug. Der Arzt war ein auch übergetretener Inselgrieche, mit dem ich unserer Gesinnungsgemeinschaft wegen näheren Umgang gepflegt hatte. Als die Schüsse fielen, warf ich mich nach hinten nieder und vermied, auch nur einen Finger zu bewegen. Es fielen noch mehrere Salven; dann bemerkte ich, daß der Hekim die Gefallenen untersuchte, ob sie auch wirklich tot seien. Als er zu mir kam, fühlte ich seine tastenden Hände auf meiner Brust; er sagte nichts und ging weiter. Nach einiger Zeit hörte ich das Geräusch von Spaten, Hacken und Schaufeln; es mußte inzwischen Nacht geworden sein. Dann wurde ich eine Strecke weit fortgeschleift, und man nahm mir die Binde ab. Es war dunkel um mich her, doch erkannte ich den über mich gebeugten Onbaschi und auch seine Stimme, als er sagte:
    ‚Komm, Herr, wir müssen schleunigst fort, aus Damaskus hinaus.‘
    Ich sprang auf und fragte, während ich ihm folgte:
    ‚Du willst desertieren?‘
    ‚Ja.‘
    ‚Meinetwegen?‘
    ‚Gern, denn ich habe dich lieb.‘
    Nach dem Verlust der Meinigen wäre mir der Tod gleichgültig gewesen; aber der Gedanke an ihren Mörder gab mir Grund, leben zu bleiben; ich wollte mich an ihm rächen; ich muß dir aber leider sagen, daß all mein Forschen nach ihm vergeblich gewesen ist. Ich will dich nicht mit einer langen Erzählung ermüden, sondern zunächst erwähnen, daß Kepek in allen, selbst den ärmlichsten Verhältnissen treu zu mir gehalten hat. Alle unsere Mittel bestanden in dem wenigen Sold, den er sich gespart hatte. Wir bettelten uns nach Konstantinopel und noch weiter durch. Ein glücklicher Zufall führte eine Begegnung mit Midhat, dem einsichtsvollen, später ebenso berühmten wie verkannten Pascha herbei; er nahm mich in seinen Dienst, nachdem ich ihm alle meine Erlebnisse mitgeteilt hatte. Ich stand unter ihm in Bulgarien und ging dann mit ihm nach Bagdad. Als er nach zwei Jahren nach Stambul zurückgekehrt und dann Großwesir geworden war, wurde mir hier der Rang eines Bimbaschi verliehen und die Oberstelle der hiesigen Zollbeamten anvertraut. Wäre er nicht später in Ungnade gefallen, so hätte seine Gönnerschaft mich jedenfalls noch weit höher geführt; so aber blieb ich hier sitzen und blieb das, was ich war. Doch fühlte ich mich nicht unzufrieden, denn ich hatte, durch seine Güte beschützt, Ersparnisse gemacht, welche sich von Jahr zu Jahr vergrößerten und mir ein sorgenfreies Alter verhießen, und wurde durch die Pflichten meines Amtes so in Anspruch genommen, daß mir keine Zeit übrigblieb, über die Vergangenheit nachzugrübeln. Kepek hätte avancieren können, aber er begnügte sich mit seiner früheren Charge als Onbaschi und bestand darauf, mein Diener sein und bleiben zu dürfen, ein Wunsch, der ihm, wie du siehst, gewährt worden ist.“
    Als der Erzähler jetzt eine Pause machte, reichte ich dem Dicken meine Hand hinüber und drückte ihm die seine herzlich. Er war ein kreuzbraver Mensch, und ich konnte nun begreifen, daß sein Herr ihn mit einer so ungewöhnlichen Nachsicht behandelte. Dieser fuhr in seiner Erzählung fort, indem er mich fragte:
    „Sind dir die hiesigen Zollverhältnisse bekannt?“
    „Nein“, antwortete ich.
    „So hast du

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