20 - Im Reiche des silbernen Löwen I
hier friedlich zu verleben. Schon seit der Besitznahme Algiers durch die Franzosen waren viele Araber von dort nach Damaskus gekommen und viele seiner tapfern Krieger ihnen nachgefolgt. Seine Hände hatten die Fahne des Propheten siegreich über viele Schlachtfelder getragen, die Franzosen ihn gelehrt, alles, was christlich heißt, zu hassen, und so durften, obgleich man in Damaskus gewöhnt war, mit seinem bedeutenden Einfluß zu rechnen, die dortigen mohammedanischen Behörden wohl des Glaubens sein, daß er sie in ihrem blutigen Beginnen nicht stören werde. Man war überhaupt der Meinung, daß der ‚Löwe von Algier‘, wie er genannt wurde, alt und bequem geworden sei und zur Führung seines zum Kampf einst so schnell bereiten Schwerts keine Lust mehr habe. Aber dieses Urteil sollte sich als ein sehr falsches erweisen. Als man ihn infolge des Ansehens, welches er genoß, und seiner militärischen Erfahrungen wegen zu dem heimlichen, gegen die Christen gerichteten Kriegsrat zog, erklärte er dem Pascha in furchtloser Aufrichtigkeit: ‚Das, was ihr wollt, ist gegen unser Gesetz. Ich bin ein besserer Moslem als ihr und werde die Christen verteidigen; ja, um die Ehre des Islam zu retten, bin ich bereit, dabei unterzugehen!‘ Und als das Blutbad dennoch begann, hielt er Wort. Er öffnete den Bedrängten die weiten Räume seines Hauses, entsetzte die in ihren Wohnungen belagerten Christen und reichte jedem Flüchtling seine rettende Hand, um ihn in Sicherheit zu bringen. Er kämpfte inmitten seiner unerschrockenen Afrikaner gegen die türkischen Soldaten und den Pöbel und brachte nach und nach fast elftausend Christen in das Kastell, darunter die Lazaristen und auch die Barmherzigen Schwestern mit zweihundert jungen Zöglingen. Dazu gehörten sieben Razzias, bei denen mehrere seiner Krieger getötet wurden. Auch in seinem eigenen Haus befanden sich viele Hunderte. Es sollte auf Befehl des Scheik ul Islam von mehreren tausend Soldaten und Plünderern angegriffen werden; da aber verteilte Abd el Kader seine Afrikaner, auf welche er sich verlassen konnte, mit Fackeln in die mohammedanischen Stadtteile, sprengte in Helm und Panzer den Angreifern entgegen und drohte: ‚Ihr Elenden, glaubt ihr den Propheten durch Blut und Mord zu ehren? Wenn ihr nicht umkehrt, lasse ich den Pascha und seine Offiziere niederhauen und Feuer in alle eure Häuser und Straßen werfen!‘ Das wirkte, wenn auch nur für kurze Zeit; aber während derselben langte die Nachricht an, daß ein mit Abd el Kader verbündeter Hauran-Scheik, zu dem er um Hilfe geschickt hatte, mit einer großen Kriegerschar komme, um dem ‚Löwen von Algier‘ beizustehen. Da ließ man von seinem Haus ab und begnügte sich damit, das Kastell mit den darin befindlichen, von ihm geretteten Christen einzuschließen. Dieser in der Nordwestecke der Altstadt liegende Bau ist von einem tiefen Graben umgeben und hat hohe, dicke Mauern, welche von Türmen verstärkt werden. Er bot den Christen einstweilen die nötige Sicherheit, aber sie hatten bei ihrer großen Zahl noch viele Tage lang durch Hunger und Durst, Hitze, Angst und Fieber fürchterlich zu leiden, bis infolge der Einmischung der abendländischen Regierungen Ahmed Pascha abberufen wurde und sein Nachfolger mit neuen Truppen erschien, um die Ruhe wiederherzustellen. Später wanderten sie in Scharen aus, weil sie überzeugt waren, daß der gegen sie gerichtete fanatische Haß nicht ganz gebrochen sei, sondern heimlich weiterglimme.“
„Das kann ich ihnen nicht verdenken, zumal die Bestrafung der eigentlichen Urheber des Blutbades eine höchst lässige war.“
„Oh, Effendi, darüber weiß ich mehr zu sagen als du! Die Strafe traf nur wenige Schuldige, aber um so mehr Unschuldige, zu denen auch ich gehörte.“
„Auch du?“
„Auch ich!“ nickte er. „Ahmed Pascha durfte mit großen Pomp die Stadt verlassen und wurde in Smyrna mit Kanonenschüssen und allen Ehren empfangen; erst später ließ Fuad Pascha, vom Abendland gedrängt, ihn nach Damaskus zurückbringen und erschießen. Auch die Kommandanten von Rascheya und Hasbeya wurden erschossen. Von einer Bestrafung Abdallah el Halebis, des Scheik ul Islam, habe ich nichts gehört; die Rächerhand konnte ihn, den Obersten der Geistlichkeit, wohl nicht erreichen. Und doch war er es, der die ersten Mörder in das Haus eines reichen Christen schickte, weil er diesem eine große Summe schuldete. Dafür aber wurden gegen sechzig Einwohner gehenkt, welche schuldig
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