20 - Im Reiche des silbernen Löwen I
ihn niederzureißen und festzuhalten, bis die Snuffles kamen und mir halfen, ihn zu binden. Er ließ dies lautlos und ohne Widerstand geschehen, so sehr war er erschrocken.
„Den haben wir!“ freute sich Jim. „Ob wohl noch andere bei ihm waren?“
„Wie ich die Indsmen kenne, nein, denn sie wären zu gleicher Zeit mit ihm bemerkt worden; er ist allein“, antwortete ich. „Schaffen wir ihn zu seinem Häuptling und machen wir uns dann fort.“
„Fort? Wohin?“
„Nicht sehr weit, an einen andern Ort, wo man uns nicht sucht.“
„Warum?“
„Mir ist soeben ein Plan gekommen. Ich sagte vorhin dem Häuptling daß ich das gefangene Bleichgesicht auch ohne Auswechslung befreien würde; das will ich jetzt tun.“
„Wetter! Begebt Euch ja nicht wieder so in Gefahr!“
„Es ist gar keine Gefahr dabei. Ich will bloß nach den Häuptlingsgräbern, wo der Gefangene liegt.“
„Allein?“
„Ja, allein.“
„Da lauft Ihr aber doch den Indsmen in die Hände, denn sie sind dort!“
„Sie sind nicht dort.“
„Wer hat Euch das gesagt?“
„Der Kundschafter hier.“
„Habe kein Wort davon gehört!“
„Ich auch nicht; aber gesehen habe ich es.“
„Gesehen? Wieso?“
„Er floh vor Euch. Es war natürlich seine Absicht, zu seinen Gefährten zu entrinnen, und diese müssen sich da befinden, wohin er seine Richtung nahm. Er kam von Euch auf mich zu, von rechts herüber; sie müssen also links da drüben sein, nicht in ihrem Lager, sondern bei unserm Versteck, wo sie geblieben sind, seit sie uns nicht dort fanden.“
„Das scheint freilich richtig zu sein.“
„Es ist richtig. Ferner ziehe ich folgenden Schluß: Als ich mich oben auf dem Felsen befand, stellten sich mehr als zehn Rote unten gegen mich auf, und sechs standen bei Mr. Dschafar. Sobald ich mich entfernt hatte, war das nicht mehr nötig. Es werden höchstens nur zwei Wächter bei dem Gefangenen sein, und mit denen werde ich leicht fertig; die übrigen haben sich den andern angeschlossen, die uns überfallen wollen. Ich gehe also nach den Häuptlingsgräbern, und vorher nehmen wir eine andere Stellung ein, damit wir vorkommenden Falls nicht gefunden werden.“
Die Snuffles fuhren fort, mich zu warnen; ich blieb aber bei meinem Vorsatz und zog die andern Posten ein. Als wir bei To-kei-chun ankamen und er den neuen Gefangenen sah, stieß er einen Ruf des Zorns aus, ohne aber weiter etwas zu sagen.
„Nun, wie steht es jetzt mit deiner Zuversicht?“ fragte ich ihn. „Werden dich deine Krieger befreien? Ihren Späher haben wir aufgefangen.“
Das war ihm doch zuviel. Er vergaß sich vor Ärger und antwortete:
„Sie werden dennoch kommen!“
„Hierher vielleicht, aber nicht dorthin, wo wir sein werden. Du wirst sehen, daß deine Hoffnung dich betrügt, so wie du uns hast betrügen wollen.“
Ihm und dem Späher wurden die Füße freigegeben, daß sie laufen konnten; dann suchten wir einen Ort auf, welcher fast eine englische Meile entfernt lag. Das tat ich auch aus dem Grund, daß ein etwaiger Hilferuf des Häuptlings nicht von den Comanchen gehört werden konnte. Nachdem ich meinen Gefährten sehr ernst gesagt hatte, wie sie sich zu verhalten hatten, verließ ich sie, um meinen neuen Plan in Ausführung zu bringen. Ich nahm die beiden Gewehre mit, von denen ich gegebenen Falls entweder das eine oder das andere gebrauchen konnte.
Unsere neue Haltestelle lag etwas weiter als die vorige von den Häuptlingsgräbern entfernt. Ehe ich dort anlangte, mußte also seit der Gefangennahme des Kundschafters ungefähr eine Stunde vergangen sein; dennoch war ich nicht darüber im Zweifel, daß die Roten ihre von mir vermutete Stellung noch immer inne hatten. Daß ihr Späher eine Stunde lang fortblieb, war noch kein Grund, sie mit Besorgnis oder gar Mißtrauen zu erfüllen. Es war also anzunehmen, daß sie noch immer oben bei unserm früheren Versteck hielten und ich unten bei den Gräbern keinen großen Widerstand finden würde.
Diese Voraussetzung erwies sich als richtig, denn als ich an dem letztgenannten Ort ankam und mich durch die licht stehenden Sträucher gewunden hatte, so daß ich das noch immer brennende Feuer vor mir sah, gewahrte ich nur zwei Wächter, welche bei dem Gefangenen saßen; es kam mir sogar der für mich sehr günstige Umstand zustatten, daß sie Dschafar ihre Gesichter, mir aber die Rücken zukehrten; sie konnten mich also nicht kommen sehen. Wenn ich nun dafür sorgte, daß sie mich auch nicht hörten, so mußte
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