20 - Im Reiche des silbernen Löwen I
Lehre der Zufälle bin. Ich hege vielmehr die vollständige und unerschütterliche Überzeugung, daß wir Menschen von der Hand des Allmächtigen, Allweisen und Alliebenden geführt werden, ohne dessen Willen – nach dem Worte der heiligen Schrift – kein Haar von unserem Haupt fällt. Diejenigen, welche sich von dieser Hand losgerissen haben, ihre eigenen Wege wandeln und nun eine höhere Führung leugnen, können mich in meiner Überzeugung nicht irre machen. Meine Erfahrungen stehen mir höher als die Behauptungen meinetwegen sehr gelehrter Personen, welche nur deshalb von dem Einfluß der himmlischen Vorsehung nichts bemerken, weil sie auf denselben verzichtet haben. Es ist mir sehr, sehr oft vorgekommen, daß ein um viele Jahre zurückliegendes, an sich ganz unbedeutend scheinendes Ereignis, an welches ich längst nicht mehr dachte, mir ganz unerwartet seine Folgen zeigte und so bestimmend in mein Tun und Handeln eingriff, daß ich nur als geistig Blinder hätte behaupten können, daß mir meine damaligen Gedanken und Entschlüsse nur von einem Zufall eingegeben worden seien.
So war es auch in Beziehung auf mein Zusammentreffen mit Dschafar, welches in meinem viel bewegten Leben den Raum einer kurzen Episode einnahm, an die ich nur höchst selten einmal dachte. Offen gestanden, hatte sogar der Chandschar nach und nach seine Eigenschaft als ‚Andenken‘ für mich verloren. Ich nahm ihn in die Hand, ohne mir den früheren Besitzer zu vergegenwärtigen, und ich trug ihn von Zeit zu Zeit auf meinen Reisen, ohne an die Möglichkeit zu denken, daß er mir jemals von größerer Bedeutung als derjenigen einer Waffe werden könne, welche eben gar nichts weiter als nur eine Waffe ist. Und doch sollte diese halb vergessene Episode mir noch nach einer Reihe von Jahren ihre Konsequenzen zeigen; die Ereignisse, von denen ich jetzt erzähle, werden das beweisen. –
Die Leser meiner ‚Gesammelten Werke‘ wissen aus dem dritten Band derselben (‚Von Bagdad nach Stambul‘), daß ich damals auf dem Weg der Todeskarawane von Bagdad nach Kerbela mit meinem treuen Hadschi Halef Omar von der Pest ergriffen und niedergeworfen wurde; es war ein wahres Wunder, daß wir dem Tod entgingen, zumal der schweren Erkrankung Ereignisse vorangegangen waren, welche unsere Körper- und auch geistigen Kräfte bis fast zur Erschöpfung in Anspruch genommen hatten. Diese Leidenstage, während welcher wir beiden gänzlich hilflosen Menschen nur auf uns selbst angewiesen waren, nehmen in unserer Erinnerung eine hervorragende Stelle ein, und ebenso tief hat die Gegend, in welcher wir wochenlang zwischen Tod und Leben schwebten, sich unserem Gedächtnisse eingeprägt. Es ist daher leicht begreiflich, daß wir bei einer späteren Anwesenheit in Bagdad beschlossen, die Orte, welche uns so verhängnisvoll geworden waren, bei dieser Gelegenheit wieder zu besuchen.
Ich muß vorausschicken, daß mein wackerer Halef inzwischen oberster Scheik der Haddedihn-Araber geworden war, und daß die Achtung, welche er sich erworben hatte, im umgekehrten Verhältnisse zu seiner Körpergröße stand. Er war bekanntlich von sehr kleiner und schmächtiger Gestalt und außerordentlich stolz auf seinen Schnurrbart, von dem er in aufrichtigen Augenblicken allerdings der Wahrheit gemäß zugab, daß diese ‚Zierde seines Angesichtes‘ aus dreizehn Haaren bestehe, nämlich sechs rechts und sieben links. Aber sein Mut und seine Tapferkeit waren über jedem Zweifel erhaben, und in Beziehung auf seine Anhänglichkeit zu mir hätte ich sehr oft nicht sagen können, wen er mehr liebe, mich oder sein Weib Hanneh, welche er ‚die lieblichste Blume unter allen Rosen der Frauen und Töchter‘ zu nennen pflegte.
Hatte er schon mündlich eine ganz eigene, mehr als orientalisch blumenreiche Art, sich auszudrücken, so waren die Briefe, welche ich während der Trennungspausen von ihm erhielt, noch viel interessanter. Wir schrieben uns nämlich zuweilen, doch auf ziemlich erschwertem Weg. Ich schickte meine Briefe nach Mossul, wohin er dann und wann einen seiner Beduinen sandte, um anzufragen, ob ein Schreiben von mir angekommen sei. Nach Monats- oder gar Jahresfrist schickte er dann seine Antwort ebendorthin; er mußte ja warten, bis sein Stamm sich einmal in der Nähe dieser Stadt befand, und so kam es, daß unsere Korrespondenz keineswegs an dem Fehler großer Übereilung litt. Um so origineller aber war dann, wenn er einmal schrieb, der Inhalt seiner Briefe, und ich darf
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