20 - Im Reiche des silbernen Löwen I
wohl sagen, daß der letzte, den ich damals von ihm bekam, der köstlichste von allen war. Ich hatte ihm drei Vierteljahre vorher mitgeteilt, daß ich nach Persien wolle und auf dem Weg dorthin die Weideplätze seines Stammes aufsuchen werde. Hierauf antwortete er mir, indem er sich des ihm eigentümlichen Gemenges von Arabisch und Türkisch bediente, welches ich natürlich ins Deutsche übertrage:
„Hadschi Halef Omar, der Scheik der Haddedihn vom großen Stamme der Schammar, an Emir Hadschi Kara Ben Nemsi Effendi, seinen Freund. Gruß! Ich liebe Dich! Nochmals Gruß!
Dein Brief, o Effendi, kam grad während des Gebetes des Asr bei mir an. Dank! Gnade! Anhänglichkeit! Mir scheint die Sonne, denn du hattest genug Tinte, mir zu schreiben. Freude überall; Hamdullillah! Sei unverzagt; ich schreibe sofort wieder! O Feder! O Tinte! Sie ist vertrocknet. Ich schicke nach Wasser und schütte es hinein! Sie wird wieder weich und dünn! Maschallah! Die Schrift ist sehr blaß, aber Du kannst sie dennoch lesen, denn Du bist der Gelehrteste aller Gelehrten des Morgen- und des Abendlandes. Ich beschwöre es! Hanneh, mein Weib, die schönste der Blumen unter allen Frauen, duftet grad noch so wie vor mehr als zehn Jahren. Du hast keine. Allah erbarme sich Deiner! Kara Ben Halef, mein Sohn, der Deinen Namen trägt, ist schon beinahe klüger als sein Vater; er wird mich wohl noch überholen. Des freut sich meine Seele, dennoch rufe ich: O wehe, wehe! Meine Herden wachsen, und mein Zelt vergrößert sich. O Geld, o Reichtum, o Kamele, Pferde, Schafe, Ziegen und Lämmer! Ist's bei Dir ebenso? Ist Deine Milch fett und dick? Oder sind die Früchte Deiner Datteln wurmstichig? Dann taugen sie nur als Futter für das Vieh. O Armut, o Sorge und Verderben! Wie wächst das Gras in Dschermanistan? Sind Deine Zelte dicht? Wo nicht, so flicke sie! Ein kleines Loch wird sehr schnell ein großes Loch. O Wind, o Regen, ihr sollt ja nicht hinein! Wir haben Vollmond; was hast Du? Hüte Dich vor der Erkältung und vor der Sünde! Beide töten, die eine den Leib und die andere die Seele, und in beiden Fällen wäre es jammerschade um Dich. Glaube es mir, denn ich bin Dein Freund und Beschützer! Deine Gedanken sind in Persien, die meinen auch, denn ich reite mit. Wie könnte ich Dich allein reiten lassen, o Effendi! Ich will wieder mit Dir leben und wieder mit Dir sterben. Komm! Ben Rih, das herrlichste der Pferde soll Dich tragen. Sein Vater war Dein Eigentum; Du hast ihn mir geschenkt; so nimm nun jetzt den Sohn dafür, und gib ihn mir dann wieder! Sieh, wie ich dich liebe und verehre: Ich begann diesen Brief am dritten Tage des Monates Tischrihn el Auwal und vollende ihn heut' am neunten Tage des Monates Kanun el Tani; das sind mehr als drei Monate; so große Stücke meines Herzens sind Dein Eigentum! Wenn Du gekommen bist, schreibe ich nicht, sondern sage Dir mehr. Habe Geduld mit Deinem Stamme, doch sei streng mit dem Munde alter Weiber; dann wirst Du weise regieren und Ruhm und Ehre ernten! Verliebe Dich nicht in Deine Fehler, sonst wachsen sie heran zu Löwen, welche Dich zerreißen werden! Trinkst Du noch immer Wein? O Mohammed! Er hat ihn ja verboten! Du aber bist ein Christ, und ich soll dem Koran gehorchen; aber wenn Du welchen bringst, so trinke ich ihn mit! O Hochgenuß, o Wonne! Wir erwarten Dich schon von morgen an. Das Schaf mit dem fettesten Schwanz ist bereit, für Dich geschlachtet zu werden, sobald Du bei uns erscheinst. Es freut sich dieser Ehre. Schnalle nie den Sattel locker; er rutscht mit Dir hinab! O Bruch der Arme, Beine und der Rippen! Hanneh, die herrlichste der Frauen unter den Weibern, hat nichts dagegen, daß ich mit Dir reite. Sie wird immer schöner. O Glück, o Segen, o Ehestand! Werde ja nicht krank! Ich beteuere Dir, daß dies der Gesundheit schadet, denn ich bin Dein wahrer Freund! Gehe nicht unter die Ungläubigen und Lästerer, sondern nimm Dir ein Beispiel an denen, welche durch Dich auf den richtigen Weg geführt worden sind. Nun ist heut der vierte Tag des Monates Nisahn; der Brief ist also noch drei Monate länger geworden. O Länge der Zeit, o Zahl der vielen Tage! Wasche Dich täglich fünfmal, bei jedem Gebet einmal, und hast Du kein Wasser, so nimm einstweilen Sand! O Sauberkeit des Körpers, o Reinlichkeit der Seele! Wir lagern in der Nähe von Qalat Scherkaht und ziehen bald nach Westen; darum sende ich den Boten nach Mossul. Sei frühzeitig munter, denn das Morgengebet ist besser als der Schlaf!
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