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20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

20 - Im Reiche des silbernen Löwen I

Titel: 20 - Im Reiche des silbernen Löwen I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Beigeschmack zu geben. Wer ihn kennengelernt hatte, dem fiel dieses gar nicht mehr auf.
    Inzwischen war Omar Ben Sadek auch herangekommen und von seinem Aladschy gestiegen. Er reichte mir beide Hände und sagte:
    „Sihdi, ich bin nicht so mit Ruhm und Ehre beladen wie Hadschi Halef Omar, unser Scheik; aber ich habe dich wohl ebenso lieb wie er, und für das, was ich dir schulde, wird die Dankbarkeit niemals in meinem Herzen sterben. Sei uns willkommen! Mit dir kehren alle guten Geister bei uns ein.“
    Und nun kam sie herangebraust, die große, dichte, vielköpfige Reiterwolke! Die Zügel in der Linken und die Flinten in der Rechten, trieben sie unter jauchzendem Geschrei, als ob sie uns in Grund und Boden reiten wollten, ihre Pferde in sausendem Galopp bis auf drei Schritte zu uns heran, rissen sie empor, stoben zurück, kehrten, allerlei Figuren bildend, wieder jagten, immer schießend und wieder ladend, scheinbar wirr durcheinander und schossen dabei stets so hart und nahe an uns vorüber, daß man, um sich nicht durch ängstliches Zurückweichen eine Blöße zu geben, mit diesem Brauch und ihrer Reitertüchtigkeit bekannt sein mußte. Hinter ihnen hielten Knaben im Alter bis zu vier, fünf Jahren herunter auch auf Pferden, um dieser ‚Fantasia‘, an welcher sie natürlich nicht teilnehmen durften, zuzusehen. Dann stiegen wir auf, wurden in die Mitte genommen, und es ging in Carrière dem Lager zu, vor welchem die Greise, Frauen und Mädchen standen, um uns in allen Stimmlagen mit Alan wasah'lan! Marhaba! und Habakek! (Willkommen) zu empfangen.
    Vor einem noch ganz neuen, schönen Zelt, in welchem ich wohnen sollte, wurde abgestiegen. Daß die Haddedihn ein besonderes Zelt für Ehrengäste besaßen, war ein Zeichen, daß der Stamm sich eines außergewöhnlichen Wohlstands erfreute. Später, als Halef mich mit sichtlichem Stolz um das Duar (Zeltdorf) führte, um mir die Herden zu zeigen, erkannte ich zu meiner Freude bald, daß diese mir so befreundeten Menschen jetzt bedeutend wohlhabender waren als zu der Zeit, in welcher ich sie kennenlernte. Ich konnte nicht umhin, dem Hadschi diese Bemerkung mitzuteilen, und er ergriff sofort die günstige Gelegenheit, sich unter die geliebte Beleuchtung zu bringen, indem er fragte:
    „Weiß du, Sihdi, wem der Stamm dies alles zu verdanken hat?“
    „Nun, wem?“
    „Errätst du es denn nicht?“
    „Dir jedenfalls! Oder nicht?“
    Da legte er sich beide Hände auf das Herz, machte den Nacken steif, zog die Brauen wichtig in die Höhe und sagte:
    „Ja, mir! Ich bin der Scheik, und du wirst wissen, was eine gute Regierung zu bedeuten hat! Ich bin es, ich allein, dem alle diese Untertanen mit ihren Körpern und den Seelen, welche in den Körpern wohnen, anvertraut sind. Ich bin der Vater und die Mutter, der Großvater und die Großmutter, ja sogar der Ahne, Urahne und Urvorahne dieses meines Volkes. Ich ernähre und kleide meine Untertanen; ich wasche und ich kämme sie; ich belehre und ermahne sie; ich tadle und ich richte sie; ich bewahre und ich schütze sie. Ich habe sie reich und glücklich gemacht. Kannst du erraten, wodurch? Es ist ein einziges, kleines Wort.“
    „Du wirst das Wort Friede meinen, denke ich.“
    „Ja, es ist der Friede. Mohammed Emin und Amad el Ghandur waren kriegerisch gesinnt, hatten aber kein Glück. Wären nicht wir beide, du und ich, damals zu den Haddedihn gekommen, so hätten sie in allen Kämpfen unterliegen müssen. Mohammed Emin fiel im Streit, und Amad el Ghandur mußte der Fehler wegen, welche er gemacht hatte, die Würde des Scheiks niederlegen. Dann wurde Malek gewählt, der Großvater meines Weibs Hanneh, welche die lieblichste unter den schönen Frauen aller Länder und aller Völker ist. Er war zwar alt, liebte aber als Ateïbeh auch den Krieg, hatte jedoch auch kein Glück. Als er starb, wurde ich gewählt. Das war wohl das Klügste, was die Haddedihn tun konnten! Du weißt, daß ich ein tapferer Krieger bin und niemals einen Feind gefürchtet habe. Auch ich liebte das Schwert und wollte es nicht in der Scheide rosten lassen; da aber kamst du mir dazwischen, Sihdi.“
    „Ich?“
    „Ja, du!“
    „Wieso?“
    „Deine Stimme klang aus dem Mund meines Weibs Hanneh, der schönsten Rose unter allen Blumen der Frauenzelte. Du hattest so oft von Gottes Liebe, Gnade, Barmherzigkeit und Güte gesprochen; du hattest so oft gesagt, daß der Mensch ein Ebenbild Gottes sein solle. Du hattest gelehrt, daß die Liebe die größte Macht des

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