200 - Die Suche beginnt
stöhnte Daa’tan hinter ihr.
Aruula weinte stumm in sich hinein. Sie würde es vielleicht niemals erfahren, wenn Maddrax wirklich tot sein sollte. Sie würde auf ihn warten, sie würde an ihn denken, sie würde sich nach ihm sehnen – und er würde niemals mehr kommen.
»Hilf mir, Grao!« Daa’tan schrie jetzt. »Ich schaffe es nicht!« Seine Stimme überschlug sich. »Ich kann keine Gedanken mehr lesen! Meine telepathische Begabung ist weg! Einfach weg! So hilf mir doch…!«
Ohne sich umzudrehen, blickte Aruula über die Schulter zurück zu ihrem Sohn. Wie fremd er ihr plötzlich war, und wie gleichgültig. Daa’tan schlug seine Stirn gegen die Wandvertäfelung. Die Gondel schwankte bedrohlich.
»Beruhige dich doch!« Der Daa’mure sprang auf.
»Schluss jetzt! Du wirst noch das Luftschiff beschädigen in deiner Raserei!« Er umklammerte Daa’tan, drückte seinen Oberkörper gegen seine Schuppenbrust und hielt den Tobenden solange fest, bis er sich beruhigte.
»Victorius kann es auch nicht mehr«, sagte der schwarze Prinz heiser. »Es ist weg. Seit das Riesending den HERRN vernichtet hat, kann er keine fremden Gedanken mehr lesen. Victorius hat es sofort gemerkt.«
»Was sagst du da?« Daa’tan stemmte sich gegen Grao’sil’aanas Brust und starrte seinen Mentor aus schreckensgeweiteten Augen an. »Und du? Kannst du noch Gedanken lesen, Grao?«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht«, wich der Daa’mure aus. »Wenn es dem Wandler gefallen hat, mir diese Gabe wegzunehmen, dann soll es so sein.«
»Was ist das für eine Scheißantwort?!«, schrie Daa’tan.
»Kannst du noch Gedanken lesen, oder kannst du es nicht? Ja oder nein?!«
Grao’sil’aana drückte den Neunzehnjährigen von sich und stand auf. Er stieß ein verächtliches Fauchen aus und ging zurück zum Kartentisch, wo er sich in den Sessel fallen ließ.
»Und du, Mutter?« Daa’tan sprang auf und stützte sich neben Aruula gegen die Wandvertäfelung. »Kannst du noch Gedanken lesen?«
»Es ist mir egal«, sagte sie müde.
»Probier es aus, bitte! Bist du noch Telepathin oder nicht?!« Er bohrte und bohrte. »Ich will es wissen, ich muss es wissen! Kannst du noch lauschen?!«
Aruula schloss die Augen und lehnte die Stirn gegen die eiskalte Fensterscheibe. Vorsichtig tastete ihr Geist sich in den ihres Sohnes. Sie sah ihn inmitten von schwarzen Kriegern in einer vertrockneten Grassteppe stehen. Er befahl dem Gras zu wachsen, er befahl dem trockenen Boden, Bäume, Büsche und Dornenhecken keimen zu lassen. Doch nichts geschah. Ihn quälte die ungeheure Angst, auch seine Macht über die Pflanzen verloren zu haben.
Aruula öffnete die Augen und sah ihn an. »Und?« Er fasste ihre Schulter. Bange Erwartung stand in seinen Zügen. »Kannst du noch lauschen, oder kannst du es nicht mehr?«
»Nein«, sagte Aruula. »Auch ich kann es nicht mehr.«
Daa’tan fuhr er herum und stützte sich auf den Kartentisch. »Der verdammte Wandler hat uns die telepathische Gabe gestohlen!«
Aruula versuchte ihre Gedanken abzuschirmen. Sie konnte nur hoffen, dass auch Grao’sil’aana seiner mentalen Kräfte beraubt war, sonst würde ihre Lüge schnell auffliegen. »Das verdammte Ding hat uns bestohlen!«
»Rede nicht so über ihn!«, herrschte Grao’sil’aana den Jungen an.
»Und was, wenn er mir auch meine Macht über die Pflanzen geraubt hat? Was bin ich dann noch? Gar nichts mehr bin ich dann…« Richtig weinerlich klang Daa’tan auf einmal. Aruula spürte den Impuls, zu ihm zu gehen und ihn in die Arme zu nehmen. Sie widerstand diesem Bedürfnis.
»Sollte er das getan haben, musst du eben auch damit leben, Daa’tan«, sagt der Daa’mure kühl. »Aber ich glaube es nicht. Wie hätte der Wandler dir denn deine floriden Zellen nehmen sollen?«
»Weiß ich’s?« Daa’tan schlug die Hände vor das Gesicht und schluchzte laut. »Ich muss es wissen, ich muss es so schnell wie möglich ausprobieren…«
Aruula fragte sich, woran es lag, dass Daa’tan und Victorius – und vermutlich sogar Grao’sil’aana – ihre telepathischen Kräfte eingebüßt hatten. War es den anderen Telepathen am zerstörten Uluru womöglich genauso ergangen? Vielleicht hatte der Wandler ja die Psi-Kräfte aller Menschen in der Umgebung des brennenden Felsens gebraucht, um den Finder zu vernichten.
Je länger sie über diese Idee nachdachte, desto plausibler erschien sie ihr.
Und die andere Frage, welche Antwort gab es auf sie?
Die Frage, warum ausgerechnet sie
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