2001 Himmelsfeuer
hatte es, als Lorenzo sie im Gebirge fand, um den Hals getragen: einen in weiches Rehleder gehüllten kleinen schwarzen Stein. Luisa hatte es nicht über sich gebracht, ihn wegzuwerfen; vielleicht hatte sie geahnt, dass er sie eines Tages mit der Wahrheit konfrontieren würde – dass Angela nicht ihre Tochter war, sondern die einer anderen Frau.
Irgendwie war es Luisa gelungen, den Gedanken zu verdrängen, dass Angela eine Indianerin aus der Mission war. Der Stein gemahnte sie wieder daran, dieser Stein, der der Mutter etwas bedeutet haben musste, sonst hätte sie ihn dem kleinen Mädchen nicht umgehängt. Jetzt, da die Mittagsstunde in diesem Land anbrach, für das sich Luisa nie begeistert und in dem sie sich nie heimisch gefühlt hatte, dachte sie zum ersten Mal über die Mutter dieses Kindes nach. Warum waren die beiden ins Gebirge gezogen? Warum war die Mutter nicht in die Mission zurückgekehrt, um ihre Tochter zu suchen? War sie tot, oder hatte sie in diesen vergangenen elf Jahren um ihr Kind getrauert wie Luisa um das ihre, das in einem kleinen Grab in der Wüste lag?
Sie versuchte, sich Angelas leibliche Mutter vorzustellen. Obwohl auf Rancho Paloma viele Indianerinnen arbeiteten, hatte Luisa sie niemals bewusst angesehen. Und wenn sie ausritt und gelegentlich in ein Dorf kam, in dem ungetaufte Indianer nackt herumliefen und ihre eigentümlichen Pfeifen rauchten, hatte sie sie als Kreaturen abgetan, mehr oder weniger auf der Stufe von stumpfsinnigen Tieren.
Nur dass Tiere ihren Töchtern keinen beschützenden Talisman um den Hals hängen.
Heilige Mutter Gottes, schrie es in ihrem Herzen auf. Habe ich unrecht getan, einer Frau ihr Kind wegzunehmen? Lorenzo hat mir das Kind gebracht, als ich vor Kummer den Verstand zu verlieren drohte und meine Knie, auf denen ich so viele Stunden lag und betete, wund waren. Ich habe das Kind als Geschenk von dir angesehen. War es das wirklich? Oder nur eine Prüfung, wie stark und aufrichtig ich bin, eine Prüfung, die ich nicht bestanden habe?
Gott, vergib mir, was ich getan habe! Ich habe mein Eheversprechen nicht eingehalten, sodass mein Mann sich von mir abgewandt hat. Ich habe einer Frau ihr Kind weggenommen. Jetzt werde ich dafür bestraft. Angela muss Navarro heiraten, und ich werde Spanien niemals wiedersehen.
Hauptmann Lorenzo jagte im Galopp den Camino Viejo dahin, bedacht darauf, Abstand von dem Blick zu gewinnen, mit dem Luisa ihn angesehen hatte. Glaubte sie denn, es sei so einfach, Brachland in eine gewinnbringende Ranch umzuwandeln? Verdammt harte Arbeit erforderte das. Und abgesehen von den sengenden Sommern und den Regengüssen, die die Senke überschwemmten, den Feuersbrünsten, die nicht in den Griff zu bekommen waren, den Krankheiten, die seinem Vieh zusetzten, und den Missernten musste man sich auch noch mit ungehobelten Indianern herumärgern! Anfangs war es deren traditionelle jährliche Zusammenkunft bei den Pechtümpeln gewesen, die Lorenzos Zorn erregt hatte, weil die Indianer ausgerechnet dort ein riesiges Lager errichteten, wo Lorenzo Mais angebaut hatte. Die Verwüstung seiner Ernte im ersten Jahr hatte ihn derart in Rage versetzt, dass er diese gesamte Bande von Wilden am liebsten ausgepeitscht hätte. Wenn er Zäune zog, rissen die Indianer sie nieder. In einem meilenlangen Zug trotteten sie über die Alte Straße, die entlang der nördlichen Begrenzung seines Anwesens verlief, bauten sich Unterkünfte aus Ästen, die sie von seinen Bäumen abrissen, taten sich gütlich an Lämmern und Ziegen aus seinen Herden. Man konnte ihnen einfach nicht klar machen, dass dies jetzt
sein
Land war und dass die Tiere, die sie töteten und aßen, nicht wild waren, sondern
ihm
gehörten.
Weiterhin waren da ihre nächtlichen Überfälle auf das Vieh. Nicht um sich Nahrung zu beschaffen, sondern aus Protest. Den Padres gelang es einfach nicht schnell genug, die Eingeborenen zu bekehren und einzugliedern; noch immer gab es unter den nicht getauften Indianern widerspenstige Grüppchen mit starken Anführern, die hin und wieder versuchten, einen größeren Aufstand gegen die Siedler zu organisieren. Einer war sogar von einer Frau angeführt worden! Noch dazu einer jungen Frau, einer vom Stamm der Gabrielino! Sie hatte die Häuptlinge und Krieger aus sechs Dörfern zu einer Revolte gegen die Soldaten und die Padres aus der Mission angestachelt. Deshalb hatten sich Lorenzo und andere Rancheros gezwungen gesehen, die Grenzen ihrer Ländereien unter den
Weitere Kostenlose Bücher