2001 Himmelsfeuer
zarten Blütenblättchen der Bougainvillea zu bemerken, die sich vom Kopfkissen darin verfangen hatten. Dann stahl sie sich aus dem schlafenden Haus in den Stall, sattelte leise Sirocco, führte ihn über den Hof hinaus auf die Felder, wo sie aufsaß und den Camino Viejo in westlicher Richtung einschlug, an den Pechtümpeln und weiter am Schwemmland vorbei, auf die Berge zu, deren Umrisse sich gegen die Sterne abzeichneten. Sie wusste weder, wohin sie ritt, noch warum sie das tat. Ein Instinkt trieb sie vorwärts und dazu Angst und das Gefühl, gedemütigt worden zu sein. Was heute Nacht geschehen war, durfte keine Menschenseele erfahren. Sie ritt weiter, auch wenn oder vielleicht weil ihr jeder Galoppsprung Schmerzen bereitete und sie daran erinnerte, was Navarro ihr angetan hatte und zweifellos ihr weiteres Eheleben lang antun würde. Allmählich spürte sie, wie ihre Hilflosigkeit in Zorn umschlug. Sie jagte vorwärts, so als wollte sie mit ihrem geliebten Sirocco über die Begrenzung der Erde hinausstürmen.
An den Ausläufern des Gebirges, dort, wo das Dorf lag, in dem ungetaufte Indianer noch immer nach Art ihrer Vorfahren lebten, schlug sie einen Pfad ein und gelangte zu einer Gruppe von Findlingsblöcken mit eigentümlichen Zeichnungen, die ihr plötzlich wie die Darstellung eines Raben und die des Mondes erschienen. Von hier aus ging es in einen engen Canyon, und ohne zu wissen, was sie bewogen hatte, diesen Ort aufzusuchen, lenkte sie das Pferd den steinigen Weg hinauf.
Eine Ahnung, die sie selbst nicht verstand, führte sie bis an den Eingang einer Höhle. Und als sie den dunklen Raum betrat, überkam sie ein ungemein vertrautes Gefühl.
Hier bin ich schon mal gewesen.
Sie wollte sich nur kurz ausruhen. Sie hatte sich zur Flucht entschlossen, wollte einfach so lange weiterreiten, bis sie einen Unterschlupf fand und vor Navarro und seinen Grausamkeiten in Sicherheit war.
Alles an Tränen und Schluchzen, was sie hatte unterdrücken müssen, drängte mit einem Mal aus ihr heraus. Bitterlich weinend brach sie auf dem lehmigen Boden zusammen, betete zur Jungfrau Maria. Nach einer Weile flüsterte ihr eine innere Stimme zu:
Du kannst nicht weglaufen, meine Tochter. Du hast jetzt Pflichten, denen du dich nicht entziehen darfst. Aber du besitzt Mut, den Mut derer, die vor dir waren.
Angela richtete sich auf. Ihr Tränenstrom versiegte. Lange dachte sie über das nach, was ihr die Stimme zugeraunt hatte, und es wurde ihr klar, dass sie ihre Mutter nicht verlassen konnte. Wenn sie weglief, würde Luisa vor Kummer vergehen; außerdem würde Angela dadurch nur Schande über die Familie bringen. Und wahrscheinlich würde Navarro beide Eltern verstoßen.
In der Stille und Abgeschiedenheit der Höhle merkte Angela, wie eine unendliche Ruhe über sie kam, ähnlich wie sie Vögel überkommt, die gerade noch aufgeregt herumflattern und sich jetzt für die vor ihnen liegende lange, dunkle Nacht zur Ruhe begeben.
Sie wusste, was zu tun war.
Sie ging zurück zu Sirocco, der an irgendwelchem Grünzeug vor der Höhle herumknabberte, zog aus ihrer Satteltasche ein Messer heraus, begab sich wieder in die dunkle, stille Höhle. Dort griff sie nach ihrem Zopf und schnitt ihn sich in Nackenhöhe ab. Als die dicke Flechte gleich einer unbeweglichen Schlange in ihrer Hand lag und sie die kühle Luft an ihrem nackten Hals spürte, sagte sie sich: Ich habe seine Macht über mich gebrochen.
Sie legte den Zopf in die kalte Erde der Höhle, ohne ein Gefühl des Triumphes. Auch der Gedanke, einen Sieg davongetragen zu haben, kam ihr nicht: Nur allzu gut wusste Angela, dass Navarro sie für das, was sie getan hatte, bestrafen würde. Aber diese Geste des Widerstandes war nötig gewesen, um nicht den Verstand zu verlieren. Sie war ein letztes Aufbäumen, zu dem sie ihrem Mann gegenüber den Mut fand, und sie schwor sich, dass die Erinnerung an diesen Augenblick ihr Kraft für die kommenden Jahre schenken würde.
Kapitel 11
D ie Männer, die sich an diesem kühlen Vormittag in dem gediegen ausgestatteten Konferenzraum der Geschäftsleitung eingefunden hatten, strahlten ein tief verwurzeltes Selbstbewusstsein aus. Entsprechend ihrer einflussreichen Position und eingedenk dessen, dass sie die Fäden in der Hand hielten, trugen sie teure Anzüge und plauderten über Golfergebnisse. Drei sprachen in ihr Handy, zwei tauschten Börsentipps aus; Sam Carter gab der Angestellten, die das Treffen auf Band aufzeichnen sollte, letzte
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