2001 Himmelsfeuer
eines ihrer Söhne Navarros Handrücken zu spüren. Zum Glück merkte Navarro meist nicht, welchen Manipulationen er da aufsaß. Was Angela wiederum zwang, ständig Augen und Ohren offen zu halten. Für die Missgeschicke, die ihr trotz allem gelegentlich unterlaufen waren, hatten sie und die Kinder schwer büßen müssen. Ein falsches Wort, ein Blick, der ihm nicht behagte, und schon griff er zum Lederriemen, und dann hagelte es Hiebe auf Frau, Kinder und Dienstboten gleichermaßen.
Dies hatte sie über die Jahre hinweg gelehrt, die Kinder im richtigen Augenblick aus seiner Schusslinie zu bringen und von sich aus zu schimpfen anzufangen, um dadurch Navarros Wutausbruch zuvorzukommen oder für alles die Schuld auf sich zu nehmen, nur damit die Dienstboten und die Kinder seinen Jähzorn nicht zu spüren bekamen. Sie wusste, wann Unterwürfigkeit ihrerseits ihn besänftigte oder in Raserei versetzte, und wie sie ihn rasch wieder dazu bringen konnte, friedfertig zu sein. Es war, als würden beide ihre Geschicklichkeit in einem ausgeklügelten Spiel erproben, nur dass Navarro nichts davon ahnte. Allerdings hatte es Angela viel Kraft abverlangt, die Kinder ständig vor Navarros Gewalttätigkeiten zu beschützen, Unheil abzuwenden, niemals sie selbst zu sein, sondern sich immer nur Navarros Launen anzupassen. Wenn jetzt Marina das Haus verließ, konnte Angela endlich aufatmen. Obwohl sie noch keine Vorstellung davon hatte, was sie dann, wenn kein Kind mehr da war, um das sie sich kümmern musste, mit ihrer Zeit anfangen würde. Ihren einstmaligen Traum, auf der Rancho Zitrusfrüchte und Wein anzubauen, hatte sie längst begraben; ihre Kinder und deren Wohlergehen waren wichtiger gewesen.
Während sie besorgt das hektische Treiben in der Küche – einer sehr viel größeren als der in den Tagen von Doña Luisa – überwachte, in der es jetzt heiß und rauchig war, weil auf großen offenen Kaminen Fleisch brutzelte und in massiv gemauerten, dickbauchigen Öfen Brot gebacken wurde und Schmorgerichte garten, nahm sie sich einen Moment für sich Zeit. So vieles noch gab es für das morgen stattfindende Fest zu tun, dass sie nicht einmal dazu gekommen war, ihre Frühstücksschokolade auszutrinken. Dies holte sie jetzt nach, genoss das gehaltvolle Getränk aus Kakao, Zucker, Milch, Maisstärke, Eier und Vanille in kleinen Schlucken, nicht zuletzt um sich zu sammeln und zu der Gewissheit zu gelangen, dass alles wie geplant vonstatten gehen würde.
Sie schaute zum Fenster hinaus und ließ wie so oft im Laufe der Jahre ihre Gedanken über Weiden und Felder fliegen, hing Erinnerungen aus den Tagen nach, da sie unbeschwert und glücklich mit Sirocco ausgeritten war. Damals war die Landschaft von weniger Bäumen durchzogen gewesen, es hatte weniger
vaqueros
gegeben, weniger Menschen. Auf dem Camino Viejo ging es inzwischen lebhafter zu, lösten Wagen und Pferde und Maultiere einander ab. Angela dachte zurück an die eigenartige, jeweils im Herbst stattfindende Völkerwanderung der Indianer, die sich auf dieser alten Straße nach Westen zu bewegt hatte, ins Gebirge, zur Eichelernte. Tausende von Eingeborenen waren da auf den Beinen gewesen und mit all ihrer Habe in Richtung Meer gewandert, so als folgten sie einem Ruf aus vergangener Zeit. Seit langem schon hatte Angela nicht mehr beobachtet, dass irgendwelche Indianer sich im Herbst in den Westen aufmachten. Waren sie davon abgekommen, Eicheln zu suchen?
Als ihr Blick über die endlosen Viehherden schweifte und sie die Staubwolken sah, die unter den Hufen aufstoben, mischten sich sorgenvolle Gedanken in Angelas friedvolle Tagträumereien.
Navarro überbeanspruchte das Weideland. Er ließ nicht zu, dass sich der Boden erholte und erneuerte. Er schien zu vergessen, dass Rinder, die über das Meer herbeigeschafft worden waren, eine zusätzliche Belastung für den Boden bedeuteten, und dass man deshalb umso mehr darauf achten musste, die Natur im Gleichgewicht zu halten. Aber ihm zu raten, die Herden zu verkleinern und einige Hektar Weideland ungenutzt zu lassen, hatte Angela nicht gewagt, aus Angst, sich für eine derartige Bemerkung einen raschen und schmerzhaften Schlag einzuhandeln.
Sie zwang sich, nicht weiter ihren Befürchtungen nachzuhängen; schließlich gab es Grund genug, an diesem Tag fröhlich zu sein. Und so trat sie zu Marina, die am Fenster an der südöstlichen Seite der Küche lehnte.
Die über beide Ohren verliebte achtzehnjährige Marina beobachtete aufmerksam
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