2001 Himmelsfeuer
das Treiben auf dem Camino Viejo, auf dem man mit Wagen und Pferden aus dem Dorf Los Angeles zu den Buchten von Santa Monica unterwegs war, mit einem Zwischenstopp bei den Pechtümpeln. Angela wusste, dass ihre jüngste Tochter Ausschau nach Pablo Quiñones hielt, einem geschickten Silberschmied, der als Sohn mexikanischer Eltern in California geboren war.
Niemals hatte Angela ein derart verliebtes junges Mädchen gesehen! Wie eine Blume, die sich der Sonne entgegenreckt, lehnte Marina am offenen Fenster, ihr schlanker Leib förmlich bebend vor Erwartung. Und erst ihr Gesicht! Die Augen weit aufgerissen und suchend, die Lippen leicht geöffnet, mit angehaltenem Atem darauf wartend, dass ihr geliebter Pablo auf der Straße aufkreuzte. Wie oft war Marina mit geröteten Wangen und leuchtenden Augen angerannt gekommen, nach einem Stelldichein mit Pablo im Schatten des Pfefferbaums! Stunden verbrachten sie dort, unter den wachsamen Blicken einer älteren Gouvernante, plauderten angeregt, lachten unbeschwert, erfüllt von jugendlichem Überschwang. Welch ein Unterschied zu der kurzen und von Schweigsamkeit geprägten Phase, in der Navarro um sie, Angela, geworben hatte. Marina dagegen sprudelte über vor Begeisterung. »Stell dir vor, Mamá«, konnte sie dann sagen, »Pablo war schon an so vielen Orten. Sogar in San Diego! Stell dir das mal vor.«
Angela konnte es sich nicht vorstellen. Eine Stadt, die zweihundert Meilen entfernt lag, konnte ebenso gut zwei
tausend
Meilen weit weg sein. Welchen Reiz vermochte das auf eine Achtzehnjährige auszuüben, deren Zuhause und alles ihr Vertraute hier war?
Angela wusste eben nicht, was es hieß, verliebt zu sein. Es mochte eine Zeit gegeben haben, da sie sich in Navarro hätte verlieben können, aber das lag lange zurück, als sie noch eine andere gewesen war.
Als sie unvermittelt die Kinder schreien hörte, trat sie erschrocken an das Fenster, das auf Korrale, Schafpferche und Ställe hinausging, und sah ihre Enkel und Enkelinnen einen Zaun hochklettern, um von dort aus zuzuschauen, wie Männer hoch zu Ross einen wilden Grizzly in den Korral brachten.
Die
vaqueros
hatten das Tier in den Bergen von Santa Monica eingefangen und es zum Rancho Paloma gezerrt, wo es morgen Abend, im Rahmen des Hochzeitsfestes, mit einem Stier kämpfen sollte. Der Grizzly widersetzte sich vehement seiner Gefangennahme, ruderte mit den Fängen herum, spreizte die Tatzen und brüllte wutentbrannt, derweil die Berittenen die Stricke festhielten, Pferde scheuten und wieherten und Staubwolken aufwirbelten und die Kinder in die Hände klatschten und vor Vergnügen johlten.
Angela beobachtete ihre Enkel, wie sie da nebeneinander auf dem Zaun hockten und das Schauspiel verfolgten – gesunde kleine Rangen im Alter von sechzehn bis hinunter zum Kleinkind –, und mit einer Mischung aus Traurigkeit und Freude musste sie daran denken, dass jetzt auch Marina, ihre jüngste Tochter, heiratete und das Haus verließ, zum Glück aber in der näheren Umgebung blieb.
Dies würde die letzte Hochzeit sein, die in diesem Haus gefeiert wurde. Die erste war ihre eigene gewesen, vor achtunddreißig Jahren, als man sie zu einer Verbindung mit einem Mann mit kühlem Verstand und eiskaltem Herzen gezwungen hatte. Fast vier Jahrzehnte waren es her, dass sie sich in der Höhle in den Bergen ihren Zopf abgeschnitten hatte, und dennoch spürte sie noch immer die Blutergüsse als Folge der Prügel, die Navarro ihr am darauf folgenden Morgen verabreicht hatte, als er beim Aufwachen feststellte, dass sie sich das Haar abgeschnitten hatte. Damit war die Bestrafung aber noch nicht zu Ende gewesen. Navarro hatte sich vorbehalten, Angela auf immer wieder neue Weise daran zu erinnern, wer ihr Gebieter war. Unter anderem befahl er ihr, sich nackt auszuziehen, und dann fesselte er sie an einen Stuhl, auf dem sie die ganze Nacht ausharren musste. Er nötigte sie zu obszönem und entwürdigendem Tun, das sie stillschweigend ertrug, weil dies nur nachts geschah, wenn sie allein waren. Wenn dann morgens die Sonne aufging, gelang es ihr mehr oder weniger, sich einzureden, Navarros Grausamkeiten seien nur ein böser Traum gewesen. Er achtete darauf, dass Spuren seiner Brutalität niemals sichtbar waren, sodass selbst die Zofe, die Angela beim Ankleiden half, nichts merkte. Und wenn Angela einmal meinte, sie könne seine Torturen nicht länger ertragen, dachte sie an ihre Kinder und wie gut Navarro für sie sorgte und an dieses schöne Heim,
Weitere Kostenlose Bücher