2001 Himmelsfeuer
das er gestaltet hatte.
Hass empfand sie für Navarro nicht. Er tat ihr Leid, weil keine Liebe und somit auch keine Freude in ihm wohnte und weil niemand ihn gern hatte, nicht einmal seine Kinder. Und auf unerklärliche Weise war sie ihm darüber hinaus dankbar – für die Kinder, die er ihr geschenkt, und dass er Wort gehalten und ihren Eltern gestattet hatte, bis zu ihrem Tod in diesem Haus zu leben, dass er ihren geliebten Rancho zum schönsten und blühendsten in Alta California hatte werden lassen. Dafür hatte sie sich an ihren Teil der Abmachung gehalten und war mit vierundfünfzig noch immer eine Schönheit.
Der Lärm und die Geschäftigkeit in der riesigen Küche rissen sie aus ihren Gedanken. Diese vielen Frauen, die da eifrig Mehl mahlten, Tortillas formten, Gemüse putzten, Teig kneteten und schnatterten und lachten! Und noch so vieles andere gab es zu tun! Seit Wochen waren die Vorbereitungen auf der Hacienda im Gange. Zum Auftakt der Festlichkeiten war die große Hochzeitsprozession mit Braut und Bräutigam hoch zu Ross vorgesehen, ein Umzug durch das Dorf Los Angeles und zurück, Marina mit einem breitkrempigen, mit Federn besetzten Hut und gekleidet in hellen Samt, Pablo in bestickter Jacke und Hose, das Zaumzeug seines Pferdes reich mit Silber beschlagen. Danach sollte inmitten von importierter Jakaranda, Zinnkraut und Pfefferbäumen das Hochzeitsbankett stattfinden, umrahmt von einer Mariachigruppe, Tänzen und Feuerwerk.
Zu diesem Anlass hatte sich die gesamte Familie Navarro eingefunden; Marinas Brüder und Schwestern, alle älter als sie und bereits verheiratet, waren samt Ehegatten und Kindern erschienen, und selbst Carlotta, Marinas achtzehn Jahre ältere Schwester, hatte die lange Reise aus Mexiko-Stadt nicht gescheut und war mit ihrem zweiten Ehemann, dem Grafen D’Arcy, und ihrer sechsjährigen Tochter Angelique gekommen.
Angela wandte sich dem Herd zu, wo die Köchin aus Zwiebeln, Knoblauch, dem Mark von Pfefferschoten, Oregano und einer Mehlschwitze die rote Chilisoße zubereitete. Sie nahm aus dem großen Tiegel eine Kostprobe, kräuselte die Stirn, griff sich dann eine kleine frische Tomate, die sie flink in winzige Stücke schnitt und dann in den Tiegel einrührte. Jetzt war an der Soße nichts mehr auszusetzen. Als sie erneut einen Blick aus dem Fenster warf, sah sie einen hochgewachsenen, grimmig dreinschauenden Mann mit großen Schritten dem Korral zustreben, wo er sich eines der auf dem Zaun hockenden kleinen Mädchen schnappte: Jacques D’Arcy, Carlottas zweiter Ehemann und hingebungsvoller Vater von Angelique, zerrte sein Töchterchen weg von dem grausamen Schauspiel um den Bären und nahm die Kleine mit zu einer Rosenhecke, wo er Platz nahm, Angelique auf seinen Schoß zog und ihr eine Blüte ins Haar steckte.
Abermals verdüsterten sich Angelas Gedanken. Navarro verabscheute Carlottas zweiten Ehegatten. Nach dem Tode ihres ersten Mannes, einem Californio, den Navarro ausgesucht hatte, war Navarro davon ausgegangen, dass seine Tochter von Mexiko-Stadt nach Alta California zurückkehren und einen hier ansässigen Ranchero heiraten würde. Stattdessen hatte sie sich in einen Mann verliebt, dessen Familie vor der Revolution in Frankreich nach Mexiko-Stadt geflohen war und sich dort niedergelassen hatte. Navarro hasste diesen Franzosen und weigerte sich, auch nur ein Wort mit ihm zu wechseln, worauf der brüskierte Jacques D’Arcy erklärt hatte, er bleibe sowieso nur Carlotta zuliebe.
Obwohl es angenehm warm war, fröstelte Angela, als sie jetzt Ausschau nach Navarro hielt. Viel brauchte es nicht – ein wenig Wein, eine Bemerkung, die er als Beleidigung empfand –, und schon würde er D’Arcy zu einem Duell herausfordern. Es wäre nicht das erste Mal. Damals hatte sein Gegner den Kürzeren gezogen.
Als sie mitbekam, wie liebevoll sich D’Arcy mit seinem Töchterchen beschäftigte, ahnte Angela, dass der Grund, an der bevorstehenden Hochzeit teilzunehmen, weniger der war, Carlotta einen Gefallen zu erweisen, als vielmehr der, seine kleine »Prinzessin« bei Laune zu halten. Die Sechsjährige, die nach der Großmutter benannt worden war, wurde von einer mürrisch dreinschauenden
Azteca
beaufsichtigt, die mehr war als eine Kinderfrau: Sie war eine
curandera
– eine Heilerin – und kannte so die uralten medizinischen Geheimnisse der Azteken. Auffallend war ihre Kleidung: Über einem bunten Rock trug sie einen schenkellangen, ebenfalls mehrfarbigen ärmellosen
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