2001 Himmelsfeuer
gebracht. Auch das Dorf Los Angeles erlebte einen Aufschwung. Überall gab es jetzt Farmen mit Obstplantagen, Grünflächen und Weingärten. Neben der Rancho Paloma waren andere Ranchos entstanden: La Brea, La Cienegas, San Vicente und Santa Monica. Und weiter entfernt größere wie Los Palos Verdes, San Pedro, Los Felis – Hunderttausende Morgen, deren Besitzer so berühmte Namen wie Dominguez, Sepúlveda oder Verdugo trugen. Die Zahl der Einwohner des Pueblos war auf nahezu achthundert angewachsen.
Als Angela sah, dass Marina jählings nach dem Fensterrahmen fasste – eine spontane, erschrockene Geste –, folgte sie der Blickrichtung ihrer Tochter. War Pablo aufgetaucht? Nein. Der Reiter, der da durch das Tor kam, war nicht Quiñones, sondern ein Amerikaner, mit dem Navarro in letzter Zeit geschäftlich zu tun hatte: Daniel Goodside, der Kapitän eines Schiffs, der Angela aus unerklärlichen Gründen beunruhigte.
Navarros Geschäfte mit den
Yanquis
waren anfangs illegal gewesen. Heimlich hatte er sich mit amerikanischen Händlern in den kleinen Buchten um Santa Barbara getroffen und Rindshäute gegen Gold eingetauscht. Inzwischen war alles legalisiert worden und problemlos abzuwickeln. Ironischerweise verachtete Navarro die Americanos noch mehr als die Franzosen, nahm sie aber als notwendiges Übel in Kauf – ein wenig besser als Parasiten, dafür als Handelspartner eine unerschöpfliche Quelle für Reichtum. Angela selbst hielt die Americanos für merkwürdige Geschöpfe. Der erste, den sie zu Gesicht bekommen hatte, »Piraten-Joe«, war vor zwölf Jahren, als Kalifornien noch unter spanischer Herrschaft stand, bei einem Überfall im Hinterland der Küste von Monterey gefangen genommen worden. Als sich herausstellte, dass er ein vorzüglicher Zimmermann war, warf man ihn nicht ins Gefängnis, sondern schickte ihn nach Los Angeles, zur Überwachung der Bauarbeiten für eine neue Kirche und die Plaza. Damals war Angela zweiundvierzig gewesen und hatte zum ersten Mal einen Menschen mit blondem Haar gesehen. Das gesamte Dorf war zur Baustelle geströmt und hatte zugeschaut, wie Indianer Holz aus den Bergen herbeischleppten und der große blonde Fremdling Anweisungen erteilte. Nach Fertigstellung der Kirche heiratete Joseph Chapman eine mexikanische Señorita und ließ sich in Los Angeles nieder. Sieben Jahre später, nachdem Spanien seine Besitzansprüche in Kalifornien aufgegeben hatte, tauchte ein gewisser Jedediah Smith, ein Mann aus den Bergen, in der Mission San Gabriel auf, wurde aber nicht verhaftet, weil Ausländern der Aufenthalt in Kalifornien nicht länger untersagt war.
Vor acht Jahren, als die Kalifornier Kenntnis davon erhielten, dass sich Mexiko von Spanien losgesagt hatte, dienten sie sich der mexikanischen Regierung an, die daraufhin unverzüglich die Provinz für den internationalen Handel mit englischen und amerikanischen Schiffen öffnete. Vor allem das Geschäft mit Häuten und Talg kurbelte die Wirtschaft an. Häute von Schlachtvieh wurden von Rancho Paloma nach Neu-England verschifft und dort zu Sätteln, Pferdegeschirren und Schuhen verarbeitet; der Talg wurde geschmolzen und dann zu Kerzen geformt. Im Zuge des aufblühenden neu erschlossenen Markts waren immer mehr Americanos nach California gekommen; in den Straßen von Los Angeles hatte man sich mittlerweile an ihren Anblick gewöhnt.
Angela fragte sich, was ihre Mutter, Doña Luisa, die im Familiengrab beigesetzt worden war, wohl zu diesen Veränderungen sagen würde. Luisa war in dem Jahr gestorben, als Mexiko sich von Spanien losgesagt hatte; für die Neunundsechzigjährige schien damit das persönliche Band zu ihrem geliebten Heimatland unwiderruflich zerrissen zu sein, sodass sie keinen Sinn darin sah, noch länger zu leben. Auch Lorenzo ruhte in dem Familiengrab. Bei einem Glücksspiel war es zum Streit gekommen, in dessen Verlauf er getötet worden war.
Angela sah, dass Captain Goodside vom Pferd stieg und den Hut abnahm. Wie Piraten-Joe wies sein Haar die Farbe von reifem Weizen auf. »Pablo kommt schon noch«, beschwichtigte sie ihre Tochter, auf deren Gesicht sich Enttäuschung abzeichnete. Das arme Mädchen hatte den ganzen Vormittag über auf ihren Verlobten gewartet, aber nur Fremde waren durchs Tor gekommen!
»Ach Mamá«, seufzte Marina auf, um sich dann abzuwenden und aus der Küche zu stürzen.
Angela tauschte lächelnd einen Blick mit ihrer Tochter Carlotta, die die Zubereitung der
dulce de calabaza
–
Weitere Kostenlose Bücher