2001 Himmelsfeuer
Schichten vergraben waren, konnte sie nicht freilegen.
Eins jedoch stand fest: Sie misstraute ihm.
Eine dröhnende Stimme durchbrach ihre Gedanken. »Da sind Sie ja!« Sam Carter trat aus dem Cafeteria-Zelt, Kaffeeflecken auf seinem Schlips. »Ich wollte gerade zu Ihnen.« Die Nachricht war nicht gut. »Hab eben mit der Katastropheneinsatzzentrale telefoniert. Wir sind der Natur auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, Erica. Diese Nachbeben gestern, ein weiterer Swimmingpool, der absackt … sie halten es für möglich, dass der gesamte Canyon innerhalb von Sekunden wegbricht. Stellen Sie sich darauf ein, über kurz oder lang das Lager zu räumen.«
»Aber ich bin noch nicht fertig!«
»Die Leitung des Katastropheneinsatzes ist nicht bereit, bei einem abermaligen heftigen Nachbeben – mit dem gerechnet wird – die Verantwortung für Ihre Sicherheit zu übernehmen.«
»Ich übernehme die Verantwortung für mich.«
»Erica, für Ihre Sicherheit trage
ich
die Verantwortung, und wenn die Zentrale sagt, wir müssen weg, dann müssen wir weg.«
Er sah das Buch unter ihrem Arm. Als sie seinen fragenden Blick bemerkte, reichte sie es ihm.
Ein außergewöhnliches Medium, gut in Szene gesetzt: Das geheimnisumwobene Leben und Wirken von Sister Sarah.
Der Titel entsprach dem einer Reportage aus der
Los Angeles Times
von 1926 , in der vom überwältigenden Erfolg der Massenséancen des Mediums im Shrine Auditorium berichtet wurde, bei denen mehr als sechstausend fanatische Anhänger behauptet hatten, Geister zu sehen und mit ihnen zu sprechen. »Kleine Bettlektüre vor dem Schlafengehen?«, fragte Sam.
»Ich möchte wissen, was Sister Sarah hierher gezogen hat. Warum sie diesen Canyon für ihre Kirche der Geister erwählte.«
»Vermutlich, weil’s billig war. In dieser Gegend war Land damals sehr günstig zu haben. Keine Straßen, unerschlossenes Gebiet. Muss hart gewesen sein, hier zu leben.« Er überflog die Seiten mit den Schwarzweißfotos und hielt bei einem Porträt inne, das Sister Sarah weiß gewandet und in theatralischer Pose zeigte, mit gewelltem Haar und umflortem Blick. Sie glich eher einem Stummfilmstar, fand er, denn einer Spiritistin. Und dann erinnerte er sich undeutlich, dass ihre Karriere tatsächlich so angefangen hatte. War sie nicht »entdeckt« worden oder so etwas in der Art?
Er gab Erica das Buch zurück und spähte hinüber zu dem Winnebago. »Ich suche unseren Freund, den Commissioner. Haben Sie ihn gesehen?«
»Ich glaube nicht, dass er zu Hause ist.«
»Was treibt er denn Abend für Abend?«
»Er nimmt Gitarrestunden, bei einem ehemaligen Jazzmusiker.«
Sam sah sie verblüfft an, bemerkte dann ihr ironisches Lächeln. »Erica, eines Tages wird Ihnen Ihre Phantasie noch mal übel mitspielen.«
… »Mein Vater ist ein Spion und meine Mutter eine französische Prinzessin, die von ihrer Familie enterbt wurde, weil sie ihn geheiratet hat.«
… »Erica, Liebes, warum lügst du die anderen Kinder an?«
»Das ist nicht gelogen, Miss Barnstable. Das sind Geschichten.«
… »Alle mal herhören. Erica hat euch etwas mitzuteilen. Nur zu, Erica, sag der Klasse, es tut dir Leid, dass du gelogen hast.«
»Haben Sie das Fellbündel schon geöffnet?«, fragte Sam. Anzunehmen, dass sie, auch ohne den Inhalt zu kennen, bereits eine Theorie dafür hatte, was darin sein mochte. Genau das war es, was sie beim Chadwick-Schiffswrack in Schwierigkeiten gebracht hatte: zu viel Phantasie und versessen darauf, Zusammenhänge zu konstruieren. Wenn die Tatsachen nichts hergaben, reimte sich Erica selbst etwas zusammen. Eine Tonscherbe in ihrer Hand war nicht einfach eine Tonscherbe, sondern zeugte von einer verärgerten Frau, die wütend auf dem Ton herumknetete und dabei an ihren Mann dachte, der der Frau seines Bruders schöne Augen machte oder faul war und nicht für die Jagd taugte, weshalb seine Frau gezwungen war, Gefäße herzustellen, um sie dann gegen Fisch und Fleisch einzutauschen, derweil ihr Mann drauf und dran war, ein Stammestabu zu brechen und sie damit alle ins Verderben zu stürzen. Erica ging voller Leidenschaft an ihre Arbeit. Ohne den dafür erforderlichen wissenschaftlichen Abstand. »Seht euch das mal an!«, konnte sie ausrufen und ein schmutziges, vermodertes Etwas hochheben. »Ist das nicht irre? Spricht das nicht für sich selbst?«
Die Geschichten mussten nicht stimmen, konnten aber doch immerhin möglich sein.
Vielleicht war sie deshalb eine Einzelgängerin. Vielleicht
Weitere Kostenlose Bücher