2001 Himmelsfeuer
merkte, dass sie nicht allein war. Jemand stand draußen vor dem Pavillon, am äußersten Rand der Felsnase. Jared Black! Die Beine gespreizt, die Hände in die Hüften gestemmt, vermittelte er den Eindruck, als habe er sich auf eine Auseinandersetzung mit dem Meer eingelassen.
Jählings wandte er sich um. Erica erschrak, als sie sein Mienenspiel sah, in dem ein Sturm zu toben schien.
Einen Augenblick lang schien die Zeit stillzustehen, der Wind abzuflauen, alles zu erstarren. Sie waren noch nie allein gewesen. Wann immer Erica seit Beginn des Projekts mit Jared zusammengetroffen war, hatte es da immer noch andere gegeben, mit denen es etwas zu besprechen und Angelegenheiten zu regeln gab. Privat hatten sie sich absolut nichts zu sagen. Wer von ihnen sich wohl als Erster verzog?
Zu ihrer Überraschung trat Jared zurück von der gefährlichen Kante der Klippe und kam die knarzenden Stufen zum Pavillon hinauf. Unter dem kühn geschwungenen und mit Schnörkeln versehenen Dach hielt er inne. »Von hier aus dürfte Sister Sarah gepredigt haben. Diese Konstruktion trägt einer guten Akustik Rechnung.«
Erica sah zum Dach hinauf. »Wie kommen Sie darauf?«
»Ich hab mal Architektur studiert«, sagte er und fügte lächelnd hinzu: »In der jüngeren Steinzeit.«
Sein Lächeln verblüffte Erica nicht weniger als die humorige Bemerkung. Bis ihr klar wurde, dass beides verkrampft war.
Er will etwas überspielen, was ich nicht mitbekommen soll. Sein Gesichtsausdruck, diese Wut beim Anblick des Meeres.
»Für gewöhnlich bin ich hier ganz für mich«, sagte sie. Eine eigenartige, nicht zu deutende Stimmung lag in der Luft. »Die Warnschilder schrecken die Leute ab.«
»Mit Warnschildern erreicht man gelegentlich genau das Gegenteil von dem, was sie bewirken sollen.« Er schwieg, beobachtete sie.
Erica wusste nichts darauf zu antworten. Sie hatte das Gefühl, Jared müsse sich zusammenreißen, und dass er, wenn er sich auch nur ein wenig gehen ließ, nur einen Augenblick lang nicht aufpasste, etwas erkennen lassen würde, was ihm in Gegenwart anderer peinlich war.
»Die spanischen Interessengruppen rufen ständig bei mir an«, sagte sie, weil ihr nichts Besseres einfiel. Seit die Entdeckung des Graffito
La Primera Madre
publik geworden war, wurde Erica von Leuten bestürmt, die alle die Inschrift sehen wollten; Journalisten baten sie um eine Deutung des Begriffs »Die Erste Mutter«, Amerikaner mexikanischer Abstammung meldeten Besitzansprüche auf die Höhle an.
»Wir sind im Augenblick die Attraktion schlechthin.« Er lächelte abermals.
Erneut breitete sich Schweigen aus. Obwohl es tausend Dinge zu besprechen gegeben hätte – ihre zunehmende Sorge um die mangelnde Absicherung der Höhle zum Beispiel –, brachte Erica nichts weiter heraus als das, was sie im Moment am meisten beschäftigte. »Sam Carter hat mir vorhin das mit Ihrer Frau erzählt. Ich hatte keine Ahnung. Ich hielt damals in London Vorlesungen und bekam nicht mit, was zu Hause passierte. Tut mir sehr Leid.«
Er presste die Lippen zusammen.
»Sie war so jung«, sagte Erica. »Sam hat nicht gesagt, wie …«
»Meine Frau starb im Kindbett, Dr. Tyler.«
Erica starrte ihn an.
»Das Baby auch«, fügte er leise hinzu und blickte hinaus aufs dunkle Meer.
Erica war wie gelähmt. Es kam ihr vor, als sähe sie den Mann zum ersten Mal. »Sie muss Ihnen fehlen.« Das war schwach, aber irgendetwas musste sie doch sagen.
»Tut sie. Ich weiß gar nicht, wie ich die letzten drei Jahre durchgestanden habe. Es erscheint mir einfach so unfair. Netsuya hatte so viel vor, so viele Pläne und Träume. Sie wollte zweihundert Jahre Unrecht wieder gutmachen und ihrem Stamm seine Geschichte wiedergeben.« Er sah Erica an. »Sie war eine Maidu. Ihnen brauche ich ja wohl nicht zu sagen, was das bedeutet hätte.«
Als Anthropologin mit Schwerpunkt Kalifornische Ureinwohner war Erica mit der Geschichte der Maidu vertraut. Sie entsprach in etwa der jedes anderen Stammes an der Westküste. Obwohl sie von spanischen Missionaren, die die Kulturen entlang der Küste zum Untergang verurteilt hatten, unbehelligt geblieben waren, ereilte die Maidu dennoch ihr Schicksal, zur Zeit des Goldrauschs, als Weiße in ihrer Gier nach dem kostbaren gelben Metall alles vernichteten, was sich ihnen in den Weg stellte, ob Berge oder Menschen. Malaria und Pocken hatten den Stamm größtenteils dahingerafft, und dann hatten die Goldsucher das Wild verjagt und Fischgründe ausgerottet,
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