2001 Himmelsfeuer
Mädchen, wo er in den denkbar tiefsten Schlaf sank.
Als er aufwachte, war er zunächst überrascht, nackt zu sein. Dann aber besann er sich darauf, dass dies ganz natürlich war und Gott ihn und alle Menschen so erschaffen hatte und dass daran nichts Anstößiges war. Hatte sich nicht auch San Francisco seiner Kleider entledigt und gesagt: »Vater unser, der du bist im Himmel«?
Felipe sah auf die noch schlummernde Teresa. Dies war die Antwort, die er gesucht hatte, das Geheimnis des Mädchens, das ihm zu denken gegeben hatte. Er hatte beobachtet, wie sie zu Pflanzen gesprochen, dem Wind zugeflüstert, den Regen angesungen hatte. Sie fürchtete nicht die Tiere, sondern verstand sie und pflegte mit ihnen einen Umgang wie seinerzeit San Francisco auch, nicht aber er, Felipe. Sie stellte sich nicht wie andere Menschen über die Natur, sondern auf eine Stufe mit ihr. Dies war die wahre Definition von Demut! Sie war die ganze Zeit um ihn herum gewesen, um ihm dies zu veranschaulichen, aber in seiner Blindheit hatte er das nicht erkannt.
Freudentränen schossen ihm in die Augen; wie einstmals San Francisco weinte er hemmungslos. Bruder Felipe war nach California gekommen, um Ekstase zu erfahren, und sein Wunsch hatte sich erfüllt.
Noch vor Tagesanbruch kehrten sie in die Mission zurück, wortlos und mit erfülltem Herzen und dem Wissen, dass in jener Nacht ein heilender Zauber stattgefunden hatte. Teresa kletterte durch das Fenster zurück ins Nonnenkloster, Felipe begab sich zu seiner Zelle.
Er verweilte jedoch nicht in der Mission. Tags darauf, noch ehe die Sonne ihren Höchststand erreichte, war er unterwegs nach Westen, mit nichts weiter im Gepäck als einem Laib Brot und einem kleinen Bündel, das er im Ärmel verbarg. Ehrfurcht und Beseligung und Freude durchströmten ihn. Er spürte keinen Schmerz, es gab keine Fragen mehr. Mit einem Mal war alles zurechtgerückt, und er
verstand.
Als der Heilige 1226 starb, setzte man ihn in der Kirche des heiligen Georg in Assisi bei. Vier Jahre später wurde sein Leichnam heimlich in die mächtige Basilika umgebettet, die Bruder Elias hatte erbauen lassen. Im Verlauf dieser heimlichen Umbettung entfernte ein von religiösem Wahn besessener Bruder den kleinen Finger der rechten Hand des Heiligen und versteckte ihn in einem kleinen Kloster in Spanien. Im Laufe der Jahre wurde die Reliquie in verschiedenen Behältnissen aufbewahrt, jedes kostbarer und kunstvoller als das vorige, bis sie schließlich in einem silbernen Reliquiar in Form einer menschlichen Hand mit Unterarm ihre letzte Ruhe fand. Als die Padres Vorbereitungen trafen, nach Neu-Spanien zu segeln und ihre Mission in Alta California zu erfüllen, wurde ihnen das Reliquiar anvertraut, um durch die Gegenwart des Heiligen im fernen heidnischen Land den Erfolg ihres Vorhabens sicherzustellen.
Jetzt war es Felipes Geschenk für die Erste Mutter.
Er zog sich bis auf sein Lendentuch aus und wickelte das Reliquiar sorgsam in seine Kutte, die er anschließend im Boden der Höhle vergrub. Dann, eingedenk der vierzig Tage und Nächte, die San Francisco gefastet, das heißt nur einen halben Laib Brot gegessen hatte, aus Ehrerbietung dem Herrn gegenüber, der vierzig Tage und Nächte gefastet hatte, ohne
irgendetwas
zu sich zu nehmen, verließ Felipe die Höhle mit nichts weiter als seinem Rosenkranz und dem Laib Brot und zog nicht etwa bergab zum Ausgang des Tales und damit wieder in Richtung der Mission, sondern aufwärts, das Gesicht der Sonne zugekehrt, ein verklärtes Lächeln auf den Lippen, höher und höher, bis er zwischen Wildnis und Himmel verschwand.
Kapitel 7
W enn Los Angeles ein Herz hätte, überlegte Erica, wäre das die Olvera Street.
Ihre Stimmung hob sich merklich, als sie die lange Ladenzeile in dieser bunt gepflasterten Straße entlangschlenderte, in der Marionetten feilgeboten wurden, Lederartikel, Ponchos, Sombreros, Heiligenstatuen und mexikanisches Essen, derweil eine Mariachi-Gruppe eine flotte Version von
Guantanamera
erklingen ließ. Erica kam vom Mittagessen, hatte sich ein scharf gewürztes Chili Relleno im malerischen Patio eines Restaurants gegönnt, der vergessen ließ, dass man sich mitten in einer Großstadt mit fünf Millionen Einwohnern befand.
Auf dem Rückweg von der Mission San Gabriel war sie kurz entschlossen von der Autobahn abgefahren. Was sie dazu bewogen hatte, konnte sie sich nicht erklären; sie wusste nur, dass sie nachdenken wollte. Der Besuch hatte nichts erbracht.
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