2001 Himmelsfeuer
Obwohl die Bücher der Mission bis zur Gründung im Jahre 1771 zurückgingen, fand sich kein Hinweis darauf, dass die Indianer oder die Padres sich jemals mit der Herstellung von Objekten der Art befasst hatten, wie Erica eines davon heute Morgen in der Höhle gefunden und über das sie sich in der Mission Aufklärung erhofft hatte. Jetzt jedenfalls bewegte sie sich gut gelaunt zwischen Scharen von Touristen und Einheimischen, die die Sehenswürdigkeiten besichtigten, die zur verborgenen und romantischen Seele von Los Angeles gehörten. In der Kirche Unserer lieben Frau von den Engeln, 1818 von Indianern aus Baumstämmen erbaut, die von den San-Gabriel-Bergen heruntergeschafft worden waren, fanden jeweils am Samstagmorgen
quinceañeros
statt, Feierlichkeiten anlässlich der Geschlechtsreife fünfzehnjähriger Mädchen, eine ungemein fröhliche Zeremonie, die dem Vernehmen nach auf alte Eingeborenenrituale zurückging und die die katholische Kirche zu unterdrücken versuchte. Da gab es das prächtige Sepulveda-Haus, 1887 in viktorianischem Stil errichtet, oder das Pelanconi-Haus aus dem Jahre 1855 , der erste Ziegelbau in Los Angeles, und nicht zu vergessen das Avila Adobe, das vermutlich älteste Haus weit und breit, das aus dem Jahre 1818 , siebenunddreißig Jahre nach der Stadtgründung, stammte. Alle, so Ericas Vermutung, vibrierend vor Leidenschaft und Geschichten aus der Vergangenheit.
Als sie zur Plaza kam, einem von einem mächtigen Feigenbaum dominierten Park im mexikanischen Stil, war sie froh, gerade noch rechtzeitig von der Autobahn abgebogen zu sein. Abgeschiedenheit war zwar gelegentlich ganz angenehm, aber hin und wieder zog es einen doch ins Gedränge. Sämtliche Bänke waren belagert, entweder von Touristen, die ihren Füßen eine Pause gönnten, oder von in die Lektüre der
Los Angeles Times
oder
La Opinión
vertieften Einheimischen.
Und dann sah sie die Gespenster, schemenhafte Gestalten in altmodischer Aufmachung, und Pferde und Wagen, räudige Hunde, windschiefe Häuser aus Lehm, mit Planken belegte Gehsteige. An den Anblick von Gespenstern war Erica gewöhnt, selbst in Downtown Los Angeles um die Mittagszeit. Die Toten verzogen sich nie ganz. Die Archäologie legte Zeugnis davon ab. Sie sah Frauen mit Sonnenschirmen, einen krummbeinigen Mann mit einem Sheriffstern, Pelzjäger hoch zu Ross, kraftstrotzende Hombres, die Ausschau nach einer Kneipe hielten. Das heutige Los Angeles wurde als raues Pflaster erachtet. Und vor hundertfünfzig Jahren? Da war es die Endstation des Wilden Westens.
Erica fiel ein modernes junges spanisches Pärchen auf, eng umschlungen, die Köpfe zusammengesteckt. Offensichtlich auf Hochzeitsreise. Sie hatte noch nie überlegt, dass man seine Flitterwochen in Los Angeles verbringen konnte, aber jetzt erschien ihr die Plaza mit ihrem mexikanischen Flair, den Blumen, der Musik, dem guten Essen, den kostümierten Menschen und der heiteren Atmosphäre genau der richtige Ort für Verliebte.
Der Anblick eines asiatischen Kellners, der mit fleckiger weißer Schürze an einem Laternenpfahl lehnte und die Morgenausgabe der
Times
las, holte sie in die Wirklichkeit zurück. Emerald Hills sorgte einmal mehr für Aufruhr, diesmal mit dem Zusatz »verhext« in der Schlagzeile. Ein auflagenstarkes Revolverblatt hatte Berichte von Sister Sarah und ihrem seltsamen Treiben im Canyon der Geister wieder ausgegraben. Angeblich hatte Sister Sarah erklärt, der Gedanke, dort ihre Kirche der Geister zu errichten, sei ihr durch die Vision von einer »Frau in langen Gewändern« gekommen. Und auch wenn Erica diese Vision eher als theatralisches Getue abtat, hatte der Bericht die Aufmerksamkeit vermehrt auf die Höhle gelenkt; inzwischen gaben Arbeiter an, auf dem Gelände ein mulmiges Gefühl zu haben.
Eine weitere groß ausgewalzte Geschichte ging durch die Presse. Nach Auffinden des Reliquiars mit den Überresten des heiligen Franziskus hatte Erica Verbindung zum Vatikan aufgenommen und dort erfahren, dass das Reliquiar 1772 nach Kalifornien gebracht und ab 1775 in den Büchern der Mission als vermisst verzeichnet worden war, desgleichen ein gewisser Bruder Felipe, der unter nicht geklärten Umständen verschwunden und vermutlich Grizzlys zum Opfer gefallen war. Warum aber, so fragte sich Erica, vergrub ein Franziskanermönch Knochen des heiligen Franziskus in einer entlegenen Höhle? Noch dazu in einer Indianerhöhle?
Wie nicht anders zu erwarten, hatte der Vatikan unverzüglich einen
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