2001 Himmelsfeuer
nieder. »Was tust du da?«
Er schien sie nicht zu hören, schlug weiter auf sich ein.
»Halt ein!« Sie entriss ihm die Peitsche. »Was soll das, Bruder?«
Felipe starrte auf seine Hand, dann wandte er ihr den Kopf zu und blickte sie mit leeren Augen an. »Teresa …«
Angesichts seines zerschundenen und von früheren Wunden mit Narben übersäten Rückens brach sie in Tränen aus. »Warum tust du das?«
»Ich … möchte, dass Gott mich für würdig erachtet.«
»Das verstehe ich nicht. Wenn dein Gott dich erschaffen hat, wie kannst du dann nicht würdig sein? Erschafft er etwa unwürdige Geschöpfe?« Sie fuhr ihm sanft über die roten Striemen auf seiner weißen Haut, hätte sich am liebsten an seinen Rücken gepresst, auf dass ihre Tränen ihn heilten und ihre Liebe sich wie Balsam über ihn ergoss.
Felipe fing an zu schluchzen. Wie sollte er ihr erklären, dass er sich nach Ekstase sehnte? Wie San Francisco mit den Wundmalen gezeichnet werden, wilde Tauben zähmen und den Fischen im Meer predigen wollte? Er wünschte sich eine Erscheinung – wenn der Herr und die Jungfrau Maria San Francisco und seinen Getreuen erschienen war, warum dann nicht auch ihm?
Teresa schaffte Wasser aus dem Trog herbei und tat ihr Möglichstes, seine Wunden zu versorgen. Sie riss das untere Ende ihres Rocks ab und entfernte mit dem Stofffetzen das Blut, betupfte vorsichtig die Stellen, wo die Haut aufgeplatzt war. Weil sie die ganze Zeit über weinte, nahm sie Bruder Felipes geschundenen Körper durch einen Tränenschleier wahr.
Er kniete noch immer, überließ sich ihrem Tun wie ein Kind, seine knöcherne Brust erbebte unter herzzerreißendem Schluchzen.
Als Teresa schließlich alles Blut abgewaschen und ihn abgetrocknet hatte, half sie ihm aufzustehen. Sie half ihm, ins Oberteil seiner grauen Kutte zu schlüpfen, gab ihm dadurch etwas von seiner Würde zurück. Dann blickte sie ihm in dem dunklen, primitiven Stall in die Augen und sagte: »Verrate mir doch, was dir fehlt, Bruder Felipe.«
Seine Kehle war rau, seine Stimme vertrocknet. »Ich suche Glückseligkeit in Vollendung.«
»Und was ist das?«
»Ich werde es dir sagen. An einem Tag im Winter zog San Francisco mit Bruder Leo von Perugia zu Unserer lieben Frau von den Engeln, und beiden machte die bittere Kälte zu schaffen. Da sagte San Francisco zu Bruder Leo, der vor ihm ging: ›Wenn es gottgefällig wäre, dass die Mönche der Welt ein leuchtendes Beispiel von Heiligkeit und religiöser Erbauung geben, dann wäre dies nicht Glückseligkeit in Vollendung.‹ Und nach einer weiteren Meile sagte er: ›Bruder Leo, wenn es den Mönchen gegeben wäre zu bewirken, dass die Lahmen wieder gehen, die Blinden sehen, die Tauben hören und die Stummen reden können, dann wäre dies nicht Glückseligkeit in Vollendung.‹ Und etwas später: ›Bruder Leo, wenn die Mönche alle Sprachen beherrschten und in allen Wissenschaften Bescheid wüssten, wenn sie die Heilige Schrift von Anfang bis Ende deuten könnten und die Gabe der Prophezeiung besäßen, wenn sie in der Lage wären, in die Zukunft zu sehen und alle Gewissen und Seelen zu erforschen, dann wäre dies nicht Glückseligkeit in Vollendung.‹ Und wiederum später rief er mit lauter Stimme: ›Wenn die Mönche mit Engelszungen sprechen und den Lauf der Sterne erklären könnten und die Eigenschaften aller Pflanzen kennen würden und aller Vögel und Fische, aller Tiere und Menschen, Bäume, Felsen und Wasser, so wäre dies nicht Glückseligkeit in Vollendung. Und wenn die Mönche die Gabe besäßen, durch ihre Predigten alle Ungläubigen zum Glauben an Christus zu bekehren, wäre auch das nicht Glückseligkeit in Vollendung.‹
Daraufhin blieb Bruder Leo stehen und sagte zu dem Heiligen: ›Dann sag mir, was Glückseligkeit in Vollendung ist.‹ Und San Francisco erwiderte: ›Wenn wir die heilige Maria von den Engeln erreichen, durchnässt vom Regen und zitternd vor Kälte und schmutzbespritzt und ausgehungert, und wenn wir am Tor läuten und uns dem Pförtner als zwei Brüder im Geiste zu erkennen geben und er uns wütend der Lüge zeiht und sagt, wir seien Betrüger und führten alle Welt hinters Licht, um die Armen ihrer letzten Habe zu berauben, und uns in Schnee und Regen stehen lässt, und wenn wir dann abermals klopfen und der Pförtner uns mit Gewalt fortjagt, und wir, vor Kälte und Hunger schier am Ende, erneut klopfen und den Pförtner unter Tränen bitten, uns Unterkunft zu gewähren, er uns aber zu
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