2001 Himmelsfeuer
Fluss meilenweit entfernt, kein Hafen, kein natürlicher Schutz entlang der Küste. Alle großen Städte auf der Welt lagen an Flüssen oder strategisch günstigen Häfen, dieses Gebiet dagegen mitten im Niemandsland!
Lorenzo wusste, dass Gouverneur Neve mit Bedacht diese Gegend für den neuen Pueblo ausgesucht hatte. Auch wenn es keinen Hafen gab und keinen schiffbaren Fluss. Die Siedler sollten Ackerbau und Viehzucht betreiben, und diese flache neblige Ebene war für diese Zwecke bestens geeignet. Neve zeigte sich, wie Lorenzo befand, entsprechend zufrieden. Konnte er auch sein, jetzt, da er seinen Auftrag erfüllt hatte, zwei Siedlungen in Alta California zu gründen, eine im Norden und eine im Süden, die eine nach dem heiligen Franziskus benannt, die andere nach der Jungfrau Maria.
»Dios mío«, sinnierte Lorenzo vor sich hin. Die Stadt nach dem Fluss hier zu benennen, der wiederum nach einer Kapelle im fernen Italien benannt worden war! Noch dazu war der Name derart bombastisch und vollmundig, dass man ihn nicht aussprechen und gleichzeitig seine Bohnen essen konnte:
El Pueblo de Nuestra Señora la Reina de Los Angeles del Río de Porciúncula
– Die Stadt Unserer lieben Frau, Königin der Engel des Flusses Porciuncula. Man machte sich bereits darüber lustig, lachte und sagte, Porciuncula sei ironisch und bedeute »kleine Portion«, und entspräche das nicht dem, was die Regierung ihnen dafür gewähre, dass sie hier siedelten? Und wie es sich mit den Engeln verhielte? Die waren nun wirklich nirgendwo zu entdecken, nur eine Gruppe hundsgewöhnlicher Landarbeiter, aus Mexiko herbeigeschafft, gab es hier, genauer gesagt elf Familien unterschiedlichster Rassen, darunter Indios, Schwarzafrikaner, Mulatten, Mestizen, sogar einen Chinesen von den Philippinen! Lorenzos mexikanische Soldaten, dazu die spanischen Padres mit ihren schnatternden Indianern aus der Mission vervollständigten den Kreis der Zuschauer, als Gouverneur Neve daranging, die Zeremonie einer weiteren Stadtgründung zu vollziehen. Engel waren keine darunter.
Lorenzo war unter denen gewesen, die ausgeschickt worden waren, um Mexikaner zu überreden, sich in Alta California niederzulassen. Jeder Siedler sollte eine Parzelle für ein Haus erhalten, dazu zwei bewässerbare Felder und zwei Felder Brachland. Ferner sollte jeder das Recht erhalten, auf den gemeinnützigen Flächen sein Vieh zu weiden und Brennholz zu lagern. Jeder Familie wurde für drei Jahre ein monatliches Entgelt in Höhe von zehn Pesos in Aussicht gestellt, dazu Kleidung und Geräte, zwei Kühe und zwei Stiere, zwei Mutterschafe, zwei Ziegen, zwei Pferde, drei Stuten und ein Maultier. Im Gegenzug mussten sich die Siedler verpflichten, das Land mindestens zehn Jahre lang zu bewirtschaften.
Obwohl Lorenzo das Angebot für verlockend hielt, war es ihm und Hauptmann Rivera nicht gelungen, die erforderliche Anzahl von Kolonisten anzuwerben. Was sie denn in dieser gottverlassenen Gegend erwarte?, hieß es. Natürlich würde der Kontakt mit zu Hause unmöglich sein. Schließlich hatten sie sich, ohne die versprochene Zahl erreicht zu haben, zum beschwerlichen Marsch nach Norden aufgemacht – lediglich dreiundzwanzig Erwachsene und einundzwanzig Kinder, darunter Lorenzos eigene Tochter, die unterwegs gestorben war.
Und jetzt sind wir hier, dachte er, während er auf das Ende der Reden wartete und mit zusammengekniffenen Augen zu den in Dunstschleier gehüllten fernen Bergen und dem Ozean spähte. An diesem entlegenen Ort, abgeschnitten von der Zivilisation und den Eingeborenen zahlenmäßig weit unterlegen. Obwohl er selbst ein
criollo
war, ein Mexikaner spanischer Abstammung, verachtete er im Gegensatz zu seinen Kumpanen die Indianer keinesfalls. Er bewunderte im Gegenteil ihren Hang zum Glücksspiel und die Geschicklichkeit, die sie darin bewiesen, und hielt dies für den einzigen Lichtblick bei seiner Zusage, sich ebenfalls an diesem unwirtlichen Ort niederzulassen, sobald er für den übernommenen Auftrag, Siedler zu werben, wie abgesprochen entschädigt, das heißt aus dem Militärdienst entlassen worden war. Wenn er sich hier erst einmal häuslich eingerichtet hatte, wollte Lorenzo ein beschauliches Dasein führen, Viehzucht betreiben, jagen und dem Glücksspiel nachgehen.
Nur: Was für ein Leben würde das jetzt sein? Lorenzo versank in dumpfes Brüten. Seine Frau, Doña Luisa, kam nicht über den Tod ihrer Tochter hinweg. Und noch schlimmer war, dass sie Lorenzo nicht mehr
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