2007 - Die Schatztaucher
mochte gar nicht ausrechnen, wie viele Generationen von Serimern das waren, wenn man von einer durchschnittlichen Lebenserwartung von zwanzig Jahren ausging.
Der Bibliothekar erstarrte gehorsam, fing aber sofort wieder zu zappeln an. „Kriege fangen nicht einfach so an", meinte Necker. „Die Gründe für die Entstehung des Krieges sind heute für die Bevölkerung von Pragaend nicht mehr interessant", sagte der Bibliothekar. „Hier herrscht das Zehntausend des Krieges. Und seit fast 350 Segaf überziehen die mächtigen Mundänen Segafrendo mit einem noch brutaleren Krieg, wie er grausamer nicht sein könnte."
Seit etwa dreißig Jahren also, dachte Necker. „Sie haben die Galaktische Krone längst in die Knie gezwungen", fuhr der Serimer fort. „Das frühere Herrschaftssystem unserer Galaxis ist so gut wie zusammengebrochen." Seine Augen schienen sich zu trüben. „In diesem Sektor von Segafrendo hat man von der Galaktischen Krone schon lange nichts mehr gehört."
„Was ist die Galaktische Krone?"
Der Bibliothekar reagierte mit einer unwirschen Handbewegung. „Ich habe gerade alles nachgeschlagen. Im Bewußtsein der Öffentlichkeit haben sich zwei verheerende Schlachten als entscheidend für die mittlerweile unaufhaltsam nahende Niederlage der Galaktischen Krone eingeprägt: die Schlacht von Torm Karaend am 944.8739.35. Segaf, praktisch direkt vor unserer Haustür, und die Schlacht von Rondell am 944.8739.58. Segaf."
Vor zweiundzwanzig und zwanzig Jahren, dachte der Dookie. „Augenzeugen gibt es natürlich keine mehr. Diese Generation der Altvorderen weilt nicht mehr unter uns. Und die Sieger schreiben die Geschichte. Das ist das Problem der exakten Historie. Was sollen wir glauben, was sollen wir nur glauben?"
Zwanzig Jahre, dachte Necker. Und die Soldaten, die damals überlebt haben, sind schon längst an Altersschwäche gestorben. „In der Schlacht von Torm Karaend prallten jeweils einige zehntausend Einheiten umfassende Flotten der beiden gegnerischen Parteien aufeinander. Die Schlacht endete mit einer vernichtenden Niederlage der Krone."
„Die Galaktische Krone", sagte Necker nachdenklich. „Blütenschiffe, Blattschiffe, Doppelkelche.
Der Begriff leitet sich nicht von einer Monarchie ab, die die Krone als Herrschaftssymbol benutzt, sondern von Pflanzen, nicht wahr? Von einer Baumkrone?"
„Natürlich, natürlich. Das Torm-Karaend-System war damals ein wichtiger Stützpunkt der Krone in diesem Sektor. Es wurde ..."
Necker rülpste laut, als ihm der Geschmack der köstlichen Süßspeise zum fünftenmal vom Magen in die Kehle und den Mund stieg, und brachte den Bibliothekar mit einer energischen Handbewegung zum Verstummen. Zu seiner Überraschung schwieg der Serimer tatsächlich so lange, daß Necker in Ruhe nachdenken konnte, Was hatte er neulich in einem Datenträger über die „Schwester von ES" gelesen? ESTARTU lebt nicht mehr hier ... eine Welt voller Pflanzen.
Der Bibliothekar konnte sich nicht mehr beherrschen. „Das Torm-Karaend-System wurde damals schwer in Mitleidenschaft gezogen. Traurig, traurig. Die Bevölkerung kam wirtschaftlich nie wieder auf die Beine. Die beiden Planeten, auf denen die Raumschiffsfabriken angesiedelt waren, wurden vernichtet, von den Raumforts blieb nichts mehr übrig. Nach tausend Jahren des Krieges war unser Sonnensystem ohnehin wirtschaftlich schwer angeschlagen, eine Situation, die sich bis heute nicht entscheidend verbessert hat."
„Aber Pragaend macht doch einen sehr guten Eindruck."
„Meinst du die Stadt oder den Planeten?"
„Die Hauptstadt."
Der Bibliothekar gestikulierte heftig und seufzte noch heftiger. „Heutzutage liegt die Ökonomie des Planeten darnieder, weite Teile unserer Welt sind zerstört. Die Bevölkerung ist auf weniger als eine Milliarde insgesamt geschrumpft."
Der Bibliothekar schlug die Augen nieder, dann schien ein Ruck durch ihn zu gehen. „Aber wir lassen uns nicht unterkriegen. Wir bauen auf. Glaub mir, wir bauen auf."
Necker nickte. Das war ihm nicht entgangen. Nun hatte er die Bestätigung für den Grund der hiesigen Bauwut erhalten. Er vermutete, daß die Serimer sich in einen regelrechten Rausch gesteigert hatten. Die Bevölkerung mußte so Schreckliches erlebt haben, daß sie daran zugrunde gegangen wäre, hätte sie nicht die eiserne Moral entwickelt, sich ja nicht unterkriegen zu lassen. „Aber das ist Vergangenheit", sagte der Bibliothekar. „An den Leiden der Altvorderen läßt sich nichts ändern, und
Weitere Kostenlose Bücher