2009 - komplett
sehen. „Aber ein bisschen kalt hier draußen. Oben auf den Türmen auch windig. Ich dachte, ich kann von hier aus genauso gut sehen wie von dort oben.“
„Dann wirst du dich über einen Schluck freuen, wenn du nach dem Wachwechsel zurückkehrst“, bemerkte Juliana und hoffte, er würde ihr sagen, wann das sein würde. Dann könnte sie ihren Spaziergang so legen, dass bei ihrer Rückkehr ein neuer Wächter Dienst tat. Auf diese Weise würde keiner wissen, wie lange sie schon umherstreifte.
„Ha, es wird mir guttun, meine Inneres wieder aufzuwärmen“, meinte er feixend. „Es ist schon höchste Zeit. Thomas sollte schon zur Stelle sein und mich ablösen.“
Gott sei Dank. „Dann wünsche ich dir eine gute Nacht und mache mich auf den Weg“, sagte sie.
Vorsichtig darauf bedacht, sich immer im Schatten zu halten, ging Juliana über den Wehrgang zum gegenüberliegenden Turm, ohne noch einmal auf Schwierigkeiten zu treffen. Offensichtlich hielten die anderen Wächter Ausschau auf den höheren Standorten. Sie öffnete die kleine Pforte, die zu der steinernen Treppe führte, und schlüpfte ins Innere.
Noch bevor sie klopfen konnte, ging die Tür auf. „Willkommen, schöne Dame“, sagte Ian und bat sie mit einer formellen Verbeugung herein.
Juliana raffte den Mantel eng an ihrem Hals zusammen und trat ein. Seine Kammer ähnelte der ihren sehr. Sie war klein und bequem und mit einem Bett mit Gobelinvorhängen ausgestattet. Ein Bett, das groß genug für zwei war. Ihr stockte der Atem.
Kerzen schickten tanzende Schatten durch den Raum und über die beiden schmalen Stühle, die neben dem Feuer standen. Schnell ging sie auf einen der Stühle zu und setzte sich.
Ian trat hinter sie, zog ihr den Mantel von Kopf und Schultern und ließ ihn über die Stuhllehne gleiten. „Ich glaube, es ist auch ohne Mantel warm genug. Hast du Lust, noch irgendetwas auszuziehen?“
Das Vergnügen in seiner Stimme machte sie wütend. Um die Wahrheit zu sagen, alles an ihm und überhaupt die ganze Angelegenheit ließen sie zornig werden. Der Wein, den Honoria ihr gebracht hatte, half ihr nicht, wie sie geglaubt hatte.
Stattdessen verwirrte er ihre Gedanken. In ihrem Innern flammte ein Gefühl auf, das Juliana nicht benennen konnte. Überdies wollte sie gar nicht wissen, was es war, denn sie fürchtete, es könnte Lust sein.
Ian ging um sie herum und kniete zu ihren Füßen nieder. Lächelnd sah er zu ihr auf.
„Bereust du, gekommen zu sein, Liebste?“
„Nein, natürlich nicht“, erwiderte sie scharf. „Ihr seht doch, dass ich zu schwach bin, solch eine Einladung abzulehnen.“
„Mmm. Ich fragte mich, ob Ihr Eure Meinung ändern würdet, wenn Ihr noch einmal darüber nachdenkt. Ich muss zugeben, dass das kein Besuch ist, den ein kluges Mädchen machen würde.“
„Na also, das sollte doch Beweis genug sein.“
„Fast, aber nicht ganz“, erwiderte er, und umfasste langsam ihren Fußknöchel. Lange Finger streichelten sie sanft und glitten ihre Wade hinauf.
Warnende Gedanken schossen ihr durch den Kopf, aber Juliana unterdrückte sie und erlaubte ihm, fortzufahren. War es besser, ihn denken zu lassen, dass sie es gewöhnt war, so behandelt zu werden? Obwohl es sich himmlisch anfühlte, wusste sie, dass sie ihm Grenzen setzen konnte, wenn sie wollte.
Aber wollte sie denn, dass er aufhörte? Wie sanft seine streichelnden Hände doch waren. Als würde er in sich aufnehmen und bewahren, wie sie sich anfühlte, und sie gerne anfassen.
Also kann ich es genauso gut genießen, entschied Juliana. Sie schloss die Augen und lehnte den Kopf zurück gegen den Stuhl. Die Zukunft würde ihr keine Gelegenheit mehr zu solchen Erfahrungen gewähren. Wäre sie wirklich so kokett, wie sie zu sein vorgab, würde sie dann nicht in seinen Aufmerksamkeiten schwelgen?
Plötzlich bemerkte Juliana, dass seine Hand sich über ihrem Knie bewegte. Sie setzte sich kerzengerade auf und stieß seinen Arm fort. „Hört jetzt auf damit!“, verlangte sie und suchte nach einem Grund, den sie ihm nennen konnte. Aber was könnte sie vorbringen? „Ich habe Durst. Habt Ihr Wasser oder etwas anderes?“
„Nur Wein“, erwiderte er mit einem tief empfundenen Seufzer und sprang auf die Füße. Augenblicklich drückte er ihr einen vollen Kelch in die Hand und prostete ihr mit seinem eigenen zu. „Sollen wir auf eine fröhliche Heirat trinken?“
Beinahe hätte Juliana sich verschluckt. Sie überspielte es mit einem Husten und trank dann
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