2009 - komplett
wahren Glauben aufgezogen wurde. Ich weiß so gut wie jeder andere, wie ich das Fest zu feiern habe. Maßlosigkeit ist aber eine andere Sache.“
Will lachte. Seit der Zeit, in der sie zusammen gekämpft hatten, war das ihre Art, den Stolz des anderen auf die Probe zu stellen. „Du solltest bleiben. Betheldas Würzbier kann es mit jedem anderen aufnehmen, das ich probiert habe.“
„Du bist nichts als ein Prahler. Ich weiß nicht recht, warum wir dich vermissen sollten, aber wir werden es.“ Der Wikinger schwang sich auf sein Pferd. „Ich werde Lucien deine Grüße überbringen. Ach, fast hätte ich vergessen, dir die glückliche Neuigkeit mitzuteilen. Im neuen Jahr wird Lady Alayna ihrem Gatten ein weiteres Kind schenken.“
Will wirkte nachdenklich. „Was für ein Glück für die beiden. Nun, Gott mit dir, Agravar. Frohe Weihnachten.“ Er lächelte und verbarg seine Ungeduld, der Mann möge endlich aufbrechen. Denn er verspürte das schreckliche Bedürfnis, jetzt sofort jemanden niederzuschlagen.
Bevor er sich in Richtung Burgtor wandte, hielt Agravar noch einmal inne. „Übrigens, hast du die Antwort auf dein Weihnachtsgeheimnis gefunden?“
„Wie bitte?“ Will sah verwirrt aus.
„Das Mädchen mit den ... Händen. Hast du ihr Geheimnis herausgefunden?“
„Oh. Ja. Sie ... sie ist nur ein junges Ding, das Pech gehabt hat. Keine große Verschwörung.“
„Dann ist ja alles gut. Genieße die Feiertage. Ich werde dich im Frühling sehen, wenn du kommst, deinen Dienst abzuleisten.“
„Bis dann, leb wohl, alter Freund.“
Agravar gab seinem Pferd die Sporen, und weg war er.
Mit gemischten Gefühlen sah Will ihm lange nach. Er dachte an Lucien. Eigentlich sollte er sich über das wohlverdiente Glück seines Freundes und über Alaynas Zufriedenheit freuen. Wie hasste er sich wegen der Kleinlichkeit seines Herzens, wegen seines Schmerzes, der ihn daran hinderte, Freude zu empfinden.
„Mylord, es sieht nach Schnee aus“, sagte ein Wachsoldat, der gerade vorüberging.
Will sah zum bleigrauen Himmel auf. „Das tut es.“
„Weihnachten im Schnee, das ist ein richtiges Winterfest.“
„Ein schöner Zufall“, stimmte Will ihm zu und ging in die Burg. Der frische, scharfe Kieferngeruch war Balsam für seinen gequälten Geist. Eine Weile saß er mit anderen Rittern beisammen und spielte Schach. Er hielt es für eine kluge Entscheidung, doch seine Stimmung hellte sich nicht auf. Er war nicht mit dem Herzen dabei, und so verlor er. Da das nur selten geschah, badete der andere schamlos in seinem Sieg und erzählte jedem lauthals davon, der zufällig durch den Saal ging.
In Gedanken versunken, die er gerne verdrängt hätte, nahm Will es kaum wahr.
Schließlich dachte er an das Mädchen.
Olivia . Will rieb sich das Kinn, während ein verhaltenes Lächeln seine Mundwinkel umspielte. Ganz gleich, was er auch zu Agravar gesagt hatte, sie interessierte ihn immer noch sehr. Keinen einzigen Moment lang hatte er geglaubt, dass das, was sie ihm erzählte, die Wahrheit war, zumindest nicht die ganze.
Doch sie war eine entzückende Abwechslung, genau das, was er jetzt brauchte. Noch viel besser wäre es, wenn man die reizende Olivia davon überzeugen könnte, ihre Bekanntschaft zu vertiefen. Eine neue Liebschaft – besonders mit einer so faszinierenden Frau – würde eine willkommene Ablenkung sein von seinen Gedanken, die irgendwie eine unglückliche Wendung genommen hatten. Und sie würde am Ende seine Stimmung wieder aufheitern.
In diesem Augenblick hatte er eine Idee.
Eine Verführung zu Weihnachten.
3. KAPITEL
Zum zweiten Mal an diesem Tag wurde Olivia zu ihrem Herrn gerufen. Dieses Mal rief er sie in sein Schlafgemach.
Die abendlichen Schatten wurden bereits länger, als Elbert, der die Fackel trug, sie hinführte. Vor der Tür des Herrn steckte Elbert die Fackel in den Wandhalter und zog sich mit einem Gähnen und einem kaum verständlichen „Gute Nacht“ zurück.
Olivia holte tief Luft, um sich zu wappnen, ehe sie klopfte. „Komm herein“, lautete die Antwort. Sie stieß die Tür auf und trat ein.
Lord Will war allein. Und er war ... nackt.
Nicht völlig, denn Gott sei Dank hatte er ein Tuch über seinen Schoß gelegt. Lord Will ruhte in einem Sessel und streckte die langen, unbekleideten Beine von sich. Er hielt die Klinge eines Messers ins helle Licht des Feuers und betrachtete mit zusammengekniffenem Auge prüfend die Schneide.
Als sie eintrat, richtete sich seine Aufmerksamkeit
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