2009 - komplett
fühlte, war er keineswegs ungehalten. Er hatte sich nicht in ihr geirrt.
„Nicht in der Stimmung zu heiraten? Nicht in der Stimmung für ein Liebesspiel? Ich schwöre, du willst mich nur zu einer fröhlichen Jagd verführen, du ach so hilfloses kleines Frauenzimmer, um mich nur noch mehr in dich verliebt machen!“
„Oh nein“, widersprach sie. „Alles, was ich will, ist, dich vor Herzeleid zu bewahren.
Welcher Mann würde sich eine Frau wie mich wünschen?“ Sie beugte sich vor, als wollte sie ein Geheimnis mit ihm teilen. „Du bist der Freund und Nachbar meines Cousins. Zweifellos stehst du bei ihm in höchstem Ansehen. Sonst würde ich sofort die Gelegenheit nutzen. Du bist nämlich schrecklich verführerisch, musst du wissen.“
Ian hätte beinahe laut gelacht, aber er fing sich wieder. „Bin ich das?“ Er nahm ihr Gesicht in beide Hände und strich mit dem Daumen über ihre Lippen. „Könnte ich dich denn nicht überreden? Wenn wir im Schlafgemach zueinander passen, könntest du mit mir zufrieden sein und auf all die anderen verzichten, mit denen du sonst in Zukunft eine Liebelei beginnen würdest. Was sagst du dazu?“
Er genoss es, ihr dabei zuzuschauen, wie sie nach einer Ausrede suchte. „Nein, besser nicht. Ich fürchte, ich hätte schlimme Gewissensbisse, wenn ich dich heiraten würde.“ Rasch erhob sie sich und gewährte ihm halbherzig und widerwillig einen reichlich unverschämten Knicks. „Ich wünsche Euch eine gute Nacht, Sir. Schlaft gut.“
Ian wartete, bis sie, fast rennend, durch die Tür zur Küche verschwunden war, bevor er sich erhob, um ihr zu folgen.
Er würde jede Wette abschließen, dass Juliana vor niemandem freiwillig das Knie beugte. Und er würde ebenfalls alles darauf verwetten, was er besaß, dass sie noch niemals für einen Mann die Röcke gehoben hatte. Warum also diese Torheit? Ian liebte Rätsel.
Langsam ging er hinauf in den dritten Stock zu dem kleinen, wohl ausgestatteten Gemach, in dem er immer schlief, wenn er auf Byelough war.
Julianas Gemach lag wahrscheinlich im Südturm auf der anderen Seite der Burganlage. Sie mochte sich dort wohl sicher vor ihm wähnen. Aber Ian wusste, dass es ein Kinderspiel für ihn wäre, sich Zugang zu ihrem Bett zu verschaffen, wenn er es wollte.
Jedoch nicht heute Nacht. Er konnte warten und wollte sehen, wie weit sie ihr Spiel mit der Vielmännerei treiben wollte. Morgen würde er den Grund dafür herausfinden, bevor er dann ihr falsches Spiel aufdeckte.
Er konnte sich mehrere Möglichkeiten vorstellen. Die erste war die, dass Juliana ihn nicht zum Gatten wollte. Sie konnte durch Honoria vom Zustand Dunniegrays erfahren haben. Ian konnte es einer Frau kaum übel nehmen, dass sie vor dieser schwierigen Aufgabe zurückschreckte.
Vielleicht mochte sie aber auch seine Person nicht, obwohl Ian spürte, dass sie ihm das sofort gesagt hätte, wenn es der Fall gewesen wäre. Sie hatte die Küsse und ihre Unterhaltung beim Abendessen genossen. Und sie war mit ihm draußen spazieren gegangen. Die Neckereien im Garten hatten ihm gezeigt, dass sie einander nie langweilen würden. Nein, entschied er, sie mochte ihn wirklich gern.
Die dritte Möglichkeit war, dass sie vorhatte, unverheiratet zu bleiben, damit sie eines Tages nach England zurückkehren konnte. Wenn er in Betracht zog, was Alan über ihre Verbannung erzählt hatte, mochte dieser Grund der wahrscheinlichste sein.
Falls das stimmte, dann musste er sie vor sich selbst retten. Wieder nach Hause zurückzukehren, würde möglicherweise ihre Gefangennahme oder ihren Tod bedeuten, weil sie sich König Edward widersetzt hatte. Und gewiss würde dieser Schritt zum Nachteil für die ganze Familie Strode sein.
In ganz Schottland würde Juliana keinen Mann finden, der sie so schätzen und in Ehren halten würde wie er. Und sie würde schon merken, dass das stimmte, vorausgesetzt, sie bliebe hier.
Ian sah am nächsten Morgen nichts von Juliana. Sie wohnte weder der Messe bei noch dem Frühstück danach in der Halle, bei dem jeder rasch etwas von dem in Scheiben geschnittenen Fleisch, dem Käse und dem Brot zu sich nahm. Chaos herrschte, während Alans Männer Tische rückten und Bänke so aufstellten, dass der Michaeli-Gerichtstag stattfinden konnte.
Ian hatte erwartet, Juliana hin und her eilen und Befehle geben zu sehen, als wäre sie hier die Herrin. Honoria hatte ihm erzählt, dass Juliana es übernommen hatte, Byelough für Michaeli vorzubereiten. Er hoffte, sie würde
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