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2.01 Donnerschlag

2.01 Donnerschlag

Titel: 2.01 Donnerschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Masannek
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Aufschrift „Inquisition“, „Folterknecht“, „Galgen“.
    „Ich glaube, mein Sohn gehört erst mal nirgendwohin. Außer nach Hause“, sagte sie zum Ersticken-süß-Kakaopulver-trocken und öffnete für mich die Beifahrertür.
    „Das heißt, ich muss gehen!“, übersetzte ich hilflos, versteinert, und Marlon und Leon schielten respektvoll zu meiner Mutter hinüber.
    „Das heißt, er hat Hausarrest?“, fragte Marlon vorsichtig, während ich dem Befehl meiner Mutter gehorchte und zu ihr und dem Auto ging. „Und wie lang, wenn ich fragen darf, wird dieser Hausarrest dauern?“
    Doch das durfte er nicht. Auf jeden Fall dachte meine Mutter gar nicht daran, ihm auch nur ein Wimpernzucken zu schenken. Sie packte stattdessen meinen Hinterkopf und schob mich mit festem Griff in den Smart.
    „Okay, ich verstehe. Er hat lebenslänglich gekriegt. Mindestens lebenslänglich!“, schluckte Marlon respektvoll, doch Leon schüttelte nur den Kopf.
    „Nein“, sagte er bitter. „Das reicht bei Weitem nicht aus. Nicht, so wie die aussieht.“
    Meine Mutter fuhr augenblicklich zu ihm herum.
    „Einen Moment!“, fauchte sie leise, doch drohend, und ich schlug schon drei Kreuzzeichen für meinen erst heute gefundenen Freund.
    „Einen Moment!“ Meine Mutter spuckte jetzt Feuer, doch Leon, der Slalomdribbler, hielt das immer noch aus.
    „Was hab ich gesagt!“, grinste er rotzig und frech. „Der kriegt nicht lebenslänglich. Der wird lebendig begraben.“
    Da hob meine Mutter zornig den Finger. Sie hob ihn, wie Harry Potter seinen Zauberstab hebt, wenn er sich mit Voldemort duelliert. Nur dass Leon nicht Voldemort war.
    „Ich …“, zischte sie, „… ich …“, und ich sah schon den Blitz, mit dem sie Leon gleich zu einem Häufchen Asche zerstäuben würde. Da zischte sie noch einmal: „… ich …“ Doch das klang jetzt so, als hätte jemand ein Loch in meinen Fahrradreifen gestochen. Die Luft entwich zischend. Die Hand meiner Mutter wirbelte wie ein Luftballon durch die Luft, an dem der Knoten aufgeplatzt war. Sie grummelte etwas, was keiner verstand, schlug die Beifahrertür zu, dampfte zur Fahrertür, trat schon beim Einsteigen aufs Gaspedal und raste mit quietschenden Reifen los. Doch sie raste nicht vorwärts. Der Smart sprang nach hinten. Sie rammte die Mülltonnen gegen das Garagentor, was fast so laut war wie Camelots Horn. Das Auto schrie auf, als sie das Getriebe in den Vorwärtsgang zwang, und ich hörte ungläubig, wie sie fluchte und schimpfte: „Oh, ich, … ich mag deine Freunde! Und ich hab euch gesehen. Oh ja, auf dem Bretterzaun. Das war wunderbar, hörst du!“ Sie blitzte mich an und sie war so zornig und wütend, wie ich sie noch nie gesehen hatte. „Das war wunderbar, hörst du! Fuchsteufel, ja! Und du, du warst einfach fantastisch!“
    Dann gab sie Gas, und ich schaute verwirrt und verdattert zu Marlon und Leon, an denen wir nach dem Mülltonnen-Garagentor-Rückwärtsgang-Donner auf zwei Reifen vorbei auf die Straße jagten. Ich sah ihre genauso verwirrten Gesichter. Ich sah ihre Angst. Die Angst um mich und um ihre Mannschaft. Pechschweflig gequirlte Kuhfladensoße! Ich hatte den Schlüssel. Den Schlüssel für Donnerschlag ! Und dann – wir kippten gerade wieder auf unsere vier Räder zurück – sah ich noch etwas viel Schlimmeres: Ich sah den Wipfel des Baums vor dem Haus, in dem die beiden wohnten. Und dort sah ich April. Ja, April, die Wölfin, saß auf dem Ast: dem Ast, der wie eine zweite Fensterbank direkt vor Marlons Zimmer wuchs.

HI! ICH WOLLT DICH NICHT STÖREN, ABER HAST DU MAL ZEIT?
    Und genau an dieses Fenster klopfte die Wölfin zwei Stunden später. So lange hatte sie zugeschaut, wie sich Marlon quälte und marterte. Wie er abwechselnd in Leons Zimmer verschwand oder dieser zu ihm kam. Wie sie sich wortlos anstarrten, um dann hilflos und wütend gegen die Bettpfosten zu treten. Um sich die Haare zu raufen oder die Wut rauszuschreien, bis ihr Vater ein Machtwort sprach. „Schlaft jetzt!“, befahl er. „Um zwei Uhr in der Nacht kann man keine Probleme mehr lösen.“
    Marlon und Leon blieb nichts anderes übrig, als ihm zu gehorchen. Sie legten sich hin. Sie wälzten sich auf ihren Betten und schließlich schliefen sie ein. Leon zuerst und dann auch Marlon. Doch sein Schlaf war nicht gut. Er träumte immer wieder dasselbe. Er sah Nervs Faust. Er sah, wie sich seine Finger ganz langsam spreizten, und dann sah er den kleinen blau leuchtenden Ball. Er sah das blaue

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