2012 – Das Ende aller Zeiten
auf den Sarg senken. Und das mit dem Pinkeln kam daher, dass außer Blut keine anderen Flüssigkeiten das Kolloid verunreinigen durften.
»Zwei.«
»Erhitze das Gel, stich die Sandsäcke an und schick deine Leute fort.«
»Eins.«
»Öffne nur zwei Adern, und du hast es fast geschafft.«
Auf diesen Teil war ich gar nicht wild.
»Null.«
»Leg dich in das Gel, und du erwachst als Held.«
Auf diesen Teil freute ich mich auch nicht. Ich musste mich mit Sandsäcken beschweren, einen an meinen Kopf binden, mich in den lauwarmen Schleim legen, den Kopf unter die Oberfläche sinken lassen, ausatmen, von zehn an rückwärts bis null zählen und dann einatmen.
»Gut«, sagte Marena. »Also, machen wir weiter. Nenn mir drei Filme von Fellini.«
»Äh, Satyricon, La Strada, Roma … nein, den letzten kannst du streichen, mir gefiel Achteinhalb …«
»Wiederhole diese Zahl rückwärts: 9049345332.«
»2335439409«, sagte ich.
»Sehr gut.«
»Ich nehme Münzkunde Sambias zehntausend, Alex.«
»Ich suche hier die Fragen aus.«
»’tschuldigung.«
»Wenn du jede Seite eines Tetraeders entweder rot oder blau anmalst, wie viele unterschiedliche Farbmuster könntest du herstellen?«
»Äh … fünf.«
»Könntest du uns etwas über deine Mutter erzählen?«
Teufel, dachte ich. Ich wusste, dass so etwas kommen würde. Lisuarte hatte erwähnt, dass sie nach Auswertung der Graphen des anderen Transfers – der für den Soledad-Test –, beschlossen hatten, beim nächsten Mal ein bisschen mehr Gefühl aus mir herauszukitzeln. Ein paar Schichten mehr im Ammonshorn zum Strahlen bringen. Na, meinetwegen. Ich erzählte ihr also, wie meine Mutter mir das Spiel beigebracht hatte, wie wir in die Schwierigkeiten mit den fincas verwickelt wurden, und vielleicht lag es an den Medikamenten oder meiner Stimmung oder etwas anderem, aber irgendwie begriff ich, dass ich einfach nur ewig weiterbrabbelte, wie ich im Krankenhaus gelegen hatte und von den Festnahmen in T’ozal hörte und dass es alles nur meine Schuld gewesen sei. Todo por mi culpa. Alles meine Schuld, alles meine Schuld, verdammt noch mal. Verdammt. Noch. Mal.
»Los Sorreanos están un grande calamidad« , hatte ich gesagt. Ich weiß noch, dass es Morgen war, denn ich hatte Weißbrottoast bekommen. – »Die Sorreanos stecken in großen Schwierigkeiten.«
»Diciendo debido a Teniente Xac?« , fragte die nette Sor Elena ganz beiläufig. – »Kennst du Leutnant Xac?«
Natürlich war ich nur ein dämlicher, übereifriger Siebenjähriger. Ich nehme an, ich hatte vergessen, dass ich nichts davon sagen sollte, oder vielleicht war ich zu wütend oder wollte die Aufmerksamkeit odermir einfach nur wichtig vorkommen. »Mi padre y Tío Xac van a quemarse la casa Sorreano« , sagte ich. – »Mein Vater ist bei Onkel Xac, und sie werden das Haus der Sorreanos niederbrennen.«
Verdammt, verdammt, verdammt. Todo por mi culpa. Ich konzentrierte mich auf die Tür. Homam – Zeta Pegasi – trat gerade in die linke untere Ecke. Er ist kein heller Stern, aber er strahlt in diesem eher trostlosen Abschnitt des Himmels zwischen Fomalhaut und Wega in einem schönen Gelb. Ich bemerkte, dass ich verstummt war. Schweigen kehrte ein.
»Okay«, sagte Marena vielleicht zwei Dezibel leiser als sonst. »Gut. Bitte löse nach x auf: x Quadrat mal fünf durch x Quadrat plus sieben x gleich null.«
Das Frage-Antwort-Spiel ging noch eine Stunde weiter. Um 3.45 Uhr schlug Lisuarte eine einminütige Pause vor. Natürlich sendeten wir trotzdem weiter. Marena ließ mich einen Schluck Undine durch den Strohhalm trinken.
»Danke«, sagte ich. »Ich glaube, ich sollte … hmm.«
Mich zu verabschieden ergab keinen großen Sinn, denn soweit jemand in meiner Nähe sehen konnte, würde ich hierbleiben. Nach dem Frage-Antwort-Spiel würde ich nicht einmal schlafen. Ich würde einfach den Kopf aus diesem metallenen After ziehen und von dem Erdhaufen hinuntersteigen. Und das Ich, das hierblieb, würde nichts bemerken.
Aber wenn ich das Ich war, das sich hier wiederfand … hmm …
»Im Namen meines eineiigen Zwillingsbruders möchte ich mich gern von dir verabschieden«, sagte ich.
»Ja, Hals- und Beinbruch, Baby«, sagte Marena.
»Danke.«
»Mach sie fertig.«
»Klar.« Ich bemerkte, dass sie mir die Hand hielt. Igitt. Zärtlichkeit. Pass bloß auf mit dem Scheiß.
»Okay«, sagte sie. »Weiter geht’s. Was war dein erster Nacktkiemer?«
»Ein Paar Hermissenda crassicornis
Weitere Kostenlose Bücher