2012 – Das Ende aller Zeiten
ozeangroßes Heer von Fischen, die alle gleichzeitig auf dem Wind schwammen. Wir nahmen einen letzten Atemzug.
Mann. Marena wird sich wundern, was passiert ist. Sie wird glauben, ich hätte es vermasselt.
Versuch es. Noch mal. BEWEG DICH !
Nichts.
»W uklahun tun …«
»Neunzehn Sonnen …«
Letzte Chance vertan. Alle Chancen aufgebraucht.
Na ja, wenigstens habe ich es zu sehen bekommen, dachte ich. Das ist ja auch was.
Bereit.
Bitte. Noch eine Sekunde. Bitte.
Meine Beine suchten auf dem Absprungstein nach Halt und fanden die Stelle, die genau richtig war. Ich senkte meinen juwelenbeschwerten Körper in eine katzenhaft geduckte Haltung, begierig, über die Stufen hinauszuspringen. Ich würde es schaffen! Mich würden die Nachtverschlinger niemals versklaven. Ich würde mir keinen Weg durch die Unterwasserwelt erkämpfen müssen. Die Raucher würden mich behandeln, als wäre ich wirklich 9-Reißzahn-Kolibri. Sie würden mich geradewegs in den Schoß der dreizehnten Himmelsschale befördern, direkt ins Feuer. Dort würde ich endlich schlafen können und das Vergessen erlangen.
»… Zwanzig mal zwanzig mal zwanzig mal zwanzig Sonnenscheiben,
Das ist die Anzahl, die wir von dir erbitten,
1-Ozelot über uns, komme zu uns, beehre uns.«
Stille. Irgendwo gurrte eine Felsentaube.
Das ist es, dachte ich. Wäre wirklich besser, sich was auszudenken, etwas Geschei…
Eine Stimme war zu hören, irgendwo oben hinter mir. Keine menschliche Stimme. Ein Ara, schoss es mir durch den Kopf. Nein,ein dressierter Klammeraffe. Oder vielleicht ist es ein Kratzinstrument, eine Stein-Guira, eine Knochenratsche, irgendwas, nur kein Mensch – doch irgendwoher im Meer meiner neuen Erinnerungen wusste ich, dass es doch ein Mensch war, die Stimme eines Zwerges, verstärkt von einem großen Sprachrohr und durch die Brechung an den tausend schiefen Flächen der Stadt verzerrt. Es war eine männliche Stimme, aber wie die von Alessandro Moreschi, dem letzten Kastraten, heller als ein Countertenor: Die Stimme besaß eine eigentümliche Ausdruckslosigkeit. Oder vielleicht sollte ich sagen, einen Mangel an Zweifel. Sie hörte sich an, als wäre sie noch nie infrage gestellt worden. Nicht, als wäre sie das Befehlen gewöhnt, nein. Eher so, als hätte diese Stimme noch nie etwas gesagt, das nicht naturgemäß ein Befehl gewesen wäre, und als wäre es für ihren Besitzer unvorstellbar, dass jemand seiner Stimme nicht gehorchte. Und in einigen Windungen meines neuen Gehirns nahm ich wahr, dass Schakal wusste, wessen Stimme es war, und einen Moment später wusste ich es auch. Sie gehörte dem wirklichen 9-Reißzahn-Kolibri, dem Ahau und k’alomte’ von Ix.
Die Stimme sagte: »Pitzom b’axb’äl!«
Was grob übersetzt heißt: »Spielt Ball!«
Das war das Stichwort.
Zeit zu springen.
(28)
»Ch‘oopkintikeen k‘in ox utak!«
Ich hatte es hinausgeschrien. GESCHAFFT !, dachte ich. ICH KANN SCHAKAL BEHERRSCHEN ! Jaaa AAAHAAA JED !
Stille. Irgendwo krächzte ein Grünhäher.
Okay. Jetzt den Rest. Konsonantenunterschied. Denk an die Lautverschiebung. Ch‘oopchin, nicht Ch‘oopkin . Füg ein, wie sie sich selbst nennen: ajche‘ej winik . Lachendes Volk. Atme vom Zwerchfell her. Los.
»Ch‘oopchintikeen k‘in ox utak«, deklamierte ich und versuchte dabei nicht schrill zu klingen.
»Ich bin der Blender
Der dritten Sonne von heute:
Vierzehnter K’atun,
An 12 Wind,
An 1 Kröte,
Wird die Speierin des Nordens
Ihre Geschwüre aufbrechen,
Und ihre Schwärze wird regnen
Auf die Berge und die Täler,
Und nur ich weiß euch hindurchzuführen.
Ihr Lachendes Volk, ihr braucht …«
WA’TAL WA’TAL WA’TAL WA’TAL WA’TAL!!!
HALT HALT HALTHALTHALT!!!
, umkreischten mich Schakals Gedanken. Ich stockte, einundsechzig Wörter vor dem Ende. Komm schon, verdammt. Raus damit. Durch die Dunkelheit, durch die …
Nichts. Scheiße. Ich bellte tonlos wie ein Hund mit Lungenschuss. Ein Gefühl, ganz schrecklich, wie Scham, aber stärker als Scham, stiegin mir auf wie eine Flut saurer Kotze. Es drang in meinen Verstand und füllte ihn mit einem einzelnen Wort:
AJSAT!
Wie alle wichtigen Wörter ließ es sich nicht richtig übersetzen. Aber es gibt ein englisches Wort, das es sehr gut trifft, besonders wenn man sich vorstellt, wie es bei hohem sozialem Druck gebraucht wird. Zum Beispiel bei einem wichtigen Kickball-Turnier in der vierten Klasse:
VERSAGER!
Du hast mich VERSAGEN lassen
, VERSAGEN, VERSAGEN, VERSAGEN,
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