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2012 – Das Ende aller Zeiten

2012 – Das Ende aller Zeiten

Titel: 2012 – Das Ende aller Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian D’Amato
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gefesselt. Ja, das ist es.
    Durst.
    Ich holte schnaubend Luft. Aus irgendeinem Grund stieg bei dem eklig süßen Geruch, den ich wahrnahm, das Bild von dem Wüstenhund in mir auf, der mit den großen Wunden an den Vorderbeinen. Ja. Es war Schlamm oder Eiter oder Wundsekret; es roch nach Hautkrankheit.
    Wahrscheinlich stammte es von mir.
    O Mann.
    Warte.
    Horch.
    Das Knarren war lauter geworden, und jetzt erkannte ich, dass es gar kein Knarren war. Es klang mehr wie ein Miauen. Eine Katze vielleicht? Nein, das ist von einem Menschen. Er stöhnt.
    Meine Augen wollten sich unwillkürlich öffnen und gaben wieder auf. Ein kleines Kind? Nein, kein Kind, ein alter Mann.
    Das Stöhnen rief ein Bild von Schakals mentaler Festplatte ab: Eine Reihe von acht oder zehn von den gleichen großen Flechtkörben hingen an einer Art nackter Pergola vor einer Mauer. Das Bild hatte ausgeprägte Farben: Die zwei Körbe ganz rechts waren frisch und grün, die anderen links davon waren von der Sonne ausgebleicht und grau. Vielleicht war es derselbe Hof, wo ich jetzt hing, oder ein ähnlicher. Auf jeden Fall wusste ich dank Schakal, dass in jedem Korb ein Gefangener war und dass ich mich im Korb ganz rechts befand; das Geflatter waren die Atemgeräusche der anderen Gefangenen, und der eklige Geruch stammte von ihrer faulenden Haut, die ihnen langsam vom Fleisch fiel. Und das Stöhnen kam aus einem der ältesten Körbe. Der Gefangene lag schon seit Jahren und Jahren und Jahren darin.
    Auch du wirst für lange Zeit in diesem Korb sein. Vielleicht für einen ganzen K’atun, wenn du Pech hast – zwanzig Jahre, bis der gleiche Sterbetag wiederkehrt. Auf diese Weise kitzeln sie mehr Schmerzen aus dir raus. Mehr Schmerzen bedeuten mehr Regen.
    Scheiße, ja! Das ist es. Darum geht es. Das ist das Letzte, was ich sehen werde. Der letzte Ort, an dem ich sein werde. Immer. Ständig. Auf Dauer. O Gott, o Gott, o Gott …
    Panik ist nicht wie ein Traum oder ein Blackout, trotzdem kann man sich schwer daran erinnern. Ich nehme an, dass ich eine Zeit lang wild um mich geschlagen habe, und wahrscheinlich habe ich geschrien – oder es war einer der anderen Gefangenen –, und dann versuchte ich wieder zu sehen. Du musst die Augen aufmachen, komm schon, du musst was sehen. Konzentrier dich auf die Augen.
    Ich strengte mich an. Ich aktivierte Augenmuskeln, von denen ich nie zuvor auch nur etwas geahnt hatte. Ich versuchte es wieder und wieder. Es ging nicht. Irgendwann begriff ich – entweder durch Schmerzen, die Stärke des Widerstands oder vielleicht dadurch, dass Schakal schon erlebt hatte, wie anderen Leuten so etwas angetan worden war –, dass man mir die Lider zugenäht hatte.
    Moment.
    Da draußen ist jemand. Ganz nah. Ich hätte nicht mit dem Scheißkorb wackeln sollen. Was tun sie? Mich beobachten? Durst! Aber du darfst sie nicht bitten. Gib ihnen nicht die Genugtu…
    Uff. Ich stürzte hoch. Ich bin getroffen. Zu hell, sogar durch die zugenähten Lider. Der Vulkanausbruch? Moment …



(30)
    Die Seitenwand versetzte mir einen Schlag und warf mich herum. Jemand hielt mich, aber nicht mit den Händen. Vielleicht mit Fausthandschuhen. Ich spürte, wie Seile durchgeschnitten wurden, hatte aber keine Möglichkeit, irgendwelche Einzelheiten mitzubekommen. Sie waren zu professionell, wie Polizisten, die einen in knapp zehn Sekunden durchsuchen, Handschellen anlegen und auf den Rücksitz schieben können.
    Die Kiste spuckte mich in die Sonne, die sich auf meiner Haut wie heißes Öl anfühlte. Die Luft schmeckte widerlich süß. Ich lag mit dem Gesicht auf den Steinplatten. Frisches Blut strömte in mein kaltes Bein und glühte rings um die wund gelegenen Stellen am Rücken. Über mir quakten zwei Enten. Das ist eindeutig nicht der Vulkanausbruch, dachte ich. Meine Hand, oder vielmehr meine rechte Hand, fand auf dem pulverigen Stein einen kleinen, länglichen Sporn, und ich brachte ihn unter den Zeigefinger, um mich gewissermaßen mental daran festzuhalten, wie man es manchmal tut, wenn die Dinge nicht richtig laufen: Man klammert sich an den erstbesten Gegenstand, als könnte man sich dadurch der eigenen Existenz versichern. Zumindest geht es mir so.
    Ich hatte recht gehabt: Es war später Nachmittag. Ich lag mit dem Gesicht nach Süden. Doch es war ein anderer Süden als mein gewohnter Süden. Die gesamte Orientierung war anders. Wie fast jeder moderne Mensch aus dem 21. Jahrhundert hatte ich Norden als »oben« und Süden als »unten«

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