2012 – Das Ende aller Zeiten
des blauen Opferpigments unter meinen sieben verbliebenen Fingernägeln hervor. Sie massierten mich mit irgendeinem Öl. Neben dem Vanille- und Geranienduft roch es leicht nach Fisch. Vielleicht stammte das Zeug vom Schweinswal. Sie ölten und bürsteten mir die Haare oder was davon noch übrig war, und als ihre Fäustlinge den Stummel von meinem Zopf oder Rattenschwanz berührten – oder was es vor dem misslungenen Opfer gewesen war –, stieg wieder abgrundtiefe Scham in mir auf. Scheißkerle.
Schließlich wurde ich mit einem Zeug bestäubt, offenbar mit der »blau-weißen Asche«, von der sie gesprochen hatten. Ich lag da und ließ es über mich ergehen wie eine Linzer Torte unter dem Puderzuckersieb. Ich versuchte mir einzubilden, ich bekäme bei Georgette Klinger in der Madison Avenue eine Ganzkörperbehandlung, aber so richtig verfing das nicht.
Sie banden mir die Hände vorn mit einer weichen Schnur zusammen, ließen sie ziemlich locker und legten mir eine Schlinge um die Brust und um den Hals wie bei einem Hundegeschirr. Dann griffen sie mir unter die Arme und zogen mich hoch. Wie gesagt war Schakals Körper daran gewöhnt, misshandelt zu werden. Ich spürte, dass er kräftig war wie ein moderner Athlet, nicht muskulös und wuchtig, sondern sehnig und voller Schnellkraft. Es war unfassbar, dass ich – oder er – nach dem ziemlich hohen Blutverlust und dem tagelangen Fasten, das dem verpfuschten Opfer vorausgegangen war, nicht längst das Bewusstsein verloren hatte. Sie versuchten, mich zum Laufen zu bewegen, und ich gab mir tatsächlich Mühe, doch mein Bein war noch außer Betrieb, und schließlich trugen sie mich aufrecht und ließen meine Füße über den Boden schleifen.
Der Schatten, der auf mich fiel, vermittelte mir den Eindruck, dass wir durch eine Mauerlücke des Hofes gegangen waren, und aus der Art der Schritte folgerte ich, dass wir einen ansteigenden Weg nahmen. Ein leichter Wind wehte. Nach vielleicht sechzig Schrittenschwenkten wir nach rechts in den Schatten und stiegen eine Treppe mit achtzehn Stufen hinauf in einen dunklen Gang. Wir wanden uns durch einen engen, auf und ab führenden Korridor. Als wären wir in einem riesigen Humidor, roch es stark nach hochwertigem Tabak, vermischt mit einem Hauch von Vanille. Dann hielten wir an. Es gab ein Geräusch, als würde jemand einen Perlenvorhang zur Seite ziehen, und wir gingen weiter in einen steinkalten Raum.
In meine zugenähten Augen sickerte kirschrotes Licht. Ich wurde auf den Steinboden gesetzt, auf etwas Dünnes, Weiches. Jemand schob mir die Beine unter und brachte mich in eine vernünftige Gefangenenhaltung. Dann wurde es still.
»Er über uns spricht zu dir unter ihm«, deklamierte der Tenor zu meiner Linken. Der Raum hatte eine gedämpfte Akustik ohne jeden Hall, wie ein Aufnahmestudio.
Wieder gab es eine monströse, unheilschwangere Pause. Dann musste jemand einen Befehl gegeben haben, denn zwei Hände packten mich und hielten meinen Kopf fest, und zwei andere … o Scheiße, sie blenden mich! Nein, warte … sie trennten mit einer kleinen Klinge die Nähte an meinen Lidern auf. Ich hätte gezappelt, natürlich, aber Schakals Körper rührte sich nicht. Schließlich merkte ich, dass ich nicht mehr festgehalten wurde, und zerrte ein Auge auf. Als Erstes sah ich meine unbehaarten, vorhautlosen Genitalien, die zwischen meinen Oberschenkeln hingen.
Hmm, dachte ich, das ist mir neu. Die Maya des 21. Jahrhunderts sind üblicherweise nicht beschnitten, aber ich war in einem richtigen Krankenhaus zur Welt gekommen, wo man seine eigenen Vorstellungen gehabt hatte. Als Nächstes sah ich die großen, widerlichen Blumenkohlschwielen an meinen Hüftballspielerknien und die blutigen Tränen, die auf meine grünen – grünen? – Oberschenkel tropften, dann die Narbe einer alten Platzwunde auf dem Hüftbein, die von einem Schmetterball stammen musste, und eine dunkelviolette Hieroglyphe von der Größe eines Zippo-Feuerzeugs, die auf meine Brust tätowiert war. Durch Schakal wusste ich irgendwie, dass das Tattoo mir den Neun-Schädel-Rang des Hüftballspielers verlieh. Da war etwas Rötliches über den Boden verstreut, irgendwelche Blütenblätter. Geranien. Aber sie waren nicht richtig rot. Sie waren anders. Und meine Haut sah wirklich grün aus – und das lag nicht an dem Öl, mit dem sie mich eingerieben hatten. Die Haut hatte tatsächlich eine andere Farbe, und das kam weder von einer Droge noch von dem Blutschleier vor
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