2012 – Das Ende aller Zeiten

Vielleicht kann ich das Scheißteil loswerden, nein, festgeklebt, ich reiße mir nur die Kopfhaut runter, als wäre das Ding tatsächlich angewachsen. Vergiss es. Konzentrier dich.
    »Der Aftermuskel dient dem ersten als Ring,
    Der Aftermuskel dient dem ersten als Ring! «
    Das »Ring« dehnte sich und ging in zischenden Jubel über und das Getrappel böser kleiner Füße. Und da laufen sie! Nicht umdrehen. Vorwärts. Vorwärts.
    Bäume. Slalom zwischen den Stämmen. Links. Rechts. Nein, links. Jetzt rechts. Wieder links. Fast die Hälfte geschafft. Geht ja gut.
    Hinter mir trommelten Fußtritte wie eine Wand dicker Regentropfen.
    Scheiß drauf. Links. Ins Dickicht. Nur nicht mit dem Geweih hängen bleiben. Sieh nach unten. Mit der Linken die Augen schützen. Den rechten Arm hoch nach vorn. Rechne mit Ästen. Erst denken, dann rennen.
    Bin ihnen noch weit voraus. Kein Problem. Als ich in das Tal zwischen den beiden Hügeln kam, wurde der Boden eben, doch er lag voller Zweige und Mist. Aufpassen. Zweige und Mist bedeuten Geräusch. Geräusch bedeutet Tod. Stille = Leben. Ich rannte auf Zehenspitzen weiter. Noch anderthalb Kilometer vielleicht. Hauptsächlich bergauf.
    Autsch. Schritt, Autsch. Brennnesseln. Der Schmerz schwirrte mir durch die Beine. Weggabelungen. Wenn sie mich aufhalten, dann auch die Verfolger.
    Stopp. Horch.
    Sie kommen näher. Wie viele? Vier? Vielleicht teilen sie sich noch mal auf. Sie sind gute Fährtenleser. Keine Spuren hinterlassen. In den Fußabdrücken zurücklaufen und dann abschwenken? Nein, zu schwierig. Haut nicht hin. Nur bei Füchsen.
    Vorwärts. Still. Schritt. Schritt. Das ist wirklich ein echt gutes Spiel. Auch wenn ich der Preis bin …
    »Umpf.«
    Schakals Körper wusste, was das war: das Ächzen eines Speerwerfers. Instinktiv duckten wir uns und wichen aus. Der Speer pfiff einen Meter über meinen Kopf hinweg. Und er pfiff wirklich, wie ein hoher A-Quintakkord. Am Schaft waren kleine Schilfflöten befestigt.
    …iiiiiiiffdgdgdgt.
    Mist. Ziemlich naher Einschlag. Steckt in einem Baumstamm oder so. Muss ihn finden. Nein, keine Zeit.
    Ich ließ mich den Rest der Steigung in eine trockene Rinne hinunterschlittern. Weiter oben hinter mir pfiffen die Geblüte einander zu, die Jagdzeichen ihrer Häuser. Es ließ sich erkennen, dass sie ausfächerten und in Zweiergruppen den Hang hinunterstürmten, den sie zur Gänze abdeckten. Zeitlos klassische Jagdmethode.
    Ich blieb stehen. Geradeaus bergan? Ja. Geh einfach weiter. Den Hügel rauf. Los. Ich stieg geduckt den Abhang hinauf.
    Sshhhwiiiii   …
    Noch einer. Ducken!
    Ffhgdg.
    Verdammt! Sie können mich durch die Bäume doch nicht sehen,oder? Sie werfen auf Gehör. Sie riskieren es einfach. Keine Sorge. Bleib außer Reichweite, dann ist alles klar. Ich schwenkte nach rechts ab. Scheiße. Geweih verfangen. Ich hörte die zwei schnellsten Jäger hinter mir den Hügel hinaufkeuchen. Die potenziellen Stichwunden kribbelten mir am Rücken. Zieh. Zweige. Reiß sie aus. Zieh. Blätter. Autsch. Mein Hals. Verflucht.
    Whhwiii. Bkt!
    Da. Losgerissen. Nach links. Ich raste nach links bergauf. Hoch. Links. Links. Scheiße …
    Whhiiiiiiiiiii   …
    Überkopf. Runter. Ducken. Runter. Gib ihnen kein freies Wurffeld. Halte die Bäume dazwischen, dann rauf zur Fackellinie irgendwo, such dir ein Loch. Es gab keine Deckung wie in einem richtigen Wald. Es war mehr wie mit den Säulen einer Kolonnade. Man musste ständig von Stamm zu Stamm laufen. Okay. Hoch. Geweih stört das Gleichgewicht. Macht den Kopf schwer. Verdammt. Mir erschien plötzlich ein Bild von mir selbst vor Augen: Ich sah mich als einen dieser prähistorischen Elche mit einem Geweih, so breit und schwer wie zwei Road-Star-Motorräder von Yamaha. Kein Wunder, dass es die Biester nicht lange gegeben hatte. Muss diese Scheißteile los kriegen. Ich schob die Fingerspitzen unter die Lederschnüre um meinen Kopf, doch darunter war eine Art Gummi oder Harz, das auf der Haut klebte. Egal.
    Still. Lauf lautlos, lauf geduckt. Sie sind zu schnell. Einfach weiterlaufen.
    Ich muss brechen. Die Sache ist die: Wenn man wirklich schneller rennt, als man kann, muss man kotzen. Gork. Urrg. Puh. Ich glaube, das konnte keiner hören. Es war sowieso nicht viel. Bleib in Bewegung. Weiter. Mach dir keine Gedanken darüber, wie lange du das durchhältst, schau nur geradeaus. Hopp. hopp.
    Ich schwenkte bergauf nach Süden ab. Kann diese Strapaze nicht länger ertragen. Das Herz tut weh, die Lunge, alles.
    Es