Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
2012 – Das Ende aller Zeiten

2012 – Das Ende aller Zeiten

Titel: 2012 – Das Ende aller Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian D’Amato
Vom Netzwerk:
Kiesel weg. Ein langes Schweigen folgte, während Koh auf die leere Spielfläche blickte. Meine Augen waren so müde, dass ich alles mit einem Blaustich sah. Als Koh sich abwandte, wusch die Zwergin das Brett mit B’alche’, Salz und Wasser ab, klopfte fünfmal daran, damit seine Uayob wussten, dass wir gingen, setzte den Deckel auf und streute frische Geranienblüten darüber. Aus einem der Krüge nahm sie einen feuchten Lappen und löschte die heruntergebrannten Binsenlichter.
    Ich blinzelte. Im Raum war Licht, blaues Licht, von dem ich geglaubt hatte, es wäre in meinen Augen. Obwohl es schwach war, reichte es aus, mich erkennen zu lassen, dass das wachsartige Zeug, das die Wände, die Decke und die Wandschirme bedeckte und im Feuerschein schwarz ausgesehen hatte, weder aus Papier noch ausBlättern oder Federn bestand: Vielmehr war es ein Mosaik aus den Flügeln blauer Morpho-Schmetterlinge. Kleine kreisrunde Stückchen waren es, die man sorgsam aus dem Zentrum der Flügel herausgetrennt und an einen Träger aus Leinwand genäht hatte, Zehntausende schillernder, lapislazuliblauer Scheiben, die sich in unmerklichen Luftströmungen regten. Hier im Nordwesten waren Morphos die Uayob erschlagener Krieger und konnten nur gesammelt werden, nachdem sie eines natürlichen Todes gestorben waren. Manchmal folgten die Sammler einem sterbenden Krieger tagelang. Wie lange hatte es gedauert, fragte ich mich. Wie viele Lebensspannen an Mannstunden waren auf diesen Raum verwendet worden? Das Licht wurde heller. Wie Schnee schien es vom Ochsenauge herunterzufallen, so langsam, dass ich glaubte, einzelne Photonen erkennen zu können. Das Blau vertiefte sich zu diesem unvorstellbaren feucht schimmernden Morpho-Ultramarin, jenem strukturellen Blau, das nicht durch ein Pigment entsteht, sondern von der Interferenz des Lichts an den Milliarden schräg stehender Schuppen herrührt und unter einem Tropfen Wasser verschwindet. Das Blau vertiefte sich noch über diese Stufe hinaus, als sänken wir in den tropischen Ozean, und wurde so satt, dass es mir vorkam, als hätte ich die Farbe Blau noch nie zuvor gesehen.
    Unvermittelt hielt die Zwergin inne und huschte heraus, als hätte sie eines ihrer telepathischen Signale erhalten.
    Das war’s dann wohl, dachte ich. Ich holte Luft, um die übliche Dankesansprache zu beginnen, doch Koh unterbrach mich mit einer Geste, die »Warte, wo du bist« bedeutete.
    Sie schloss die Augen. Mir kam es vor, als hätte sie, seit ich herkam, nichts Intimeres getan.
    Wir saßen da.
    Also, fragte ich mich, zählen wir das als Fehlschlag? Hingebracht hat sie uns schon, denke ich … trotzdem, das genügt nicht, um wirklich irgendjemandem auf die Spur zu kommen … oder? Ich weiß nicht –
    »Ich muss das noch einmal durchspielen«, sagte Koh. »Mit einem vollen Maß an Tzam lic.«
    Ich wusste nicht, was ich sagen wollte, und deshalb hielt ich, was dann viel zu selten vorkommt, den Mund.
    Hmm, also scheint sie es jedenfalls als Fehler zu betrachten. Aber immerhin besitzt sie Zuversicht. Ein bisschen war es so, als würde Taro sagen, wir bräuchten noch weitere 1020 Plys, um sicher zu sein, den Doomster in Reichweite zu bekommen. Wir konnten es natürlich nicht tun, weil es auf der Welt nicht genügend Rechenleistung gab, aber wenigstens wusste er, dass es nicht unmöglich war.
    Nun, vielleicht können wir es so schaffen. Sie glaubt …
    Ich hörte etwas Leises und sah auf. Die Pinguinfrau war wieder da und flüsterte Koh etwas in das helle Ohr.
    Ich bleib sitzen.
    Das Geflüster wollte gar nicht aufhören. Mein Zeitgefühl hatte den Normalzustand noch nicht wieder erreicht, aber ich war sicher, dass es länger dauerte als zehn Minuten. Koh fragte einiges mit Gesten einer Hand, die ich nicht verstand. Mich sah sie auf eine Art an, die mich ein bisschen nervös machte. Schließlich ging die Zwergin. Koh ließ sich in die formelle Haltung zurücksinken und betrachtete mich erneut auf eine Weise, die mich dazu veranlasste, den Blick auf die Stelle zu senken, wo das Spielbrett gewesen war.
    Wissen Sie, dass – na, das wissen Sie sicher – dass in griechischen Tragödien die gesamte Action außerhalb der Bühne abläuft? Und das Einzige, was man auf der Bühne davon mitbekommt, ist, dass zum Beispiel ein Bote hereinkommt und etwas sagt wie: »Meine Königin! Die Thessalonicher sind besiegt!« Nun, beim ersten Lesen hielt ich diese Stücke für reichlich theatralisch und unrealistisch. Aber je mehr ich von der Welt

Weitere Kostenlose Bücher