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2012 – Das Ende aller Zeiten

2012 – Das Ende aller Zeiten

Titel: 2012 – Das Ende aller Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian D’Amato
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sie hatte stets die gleiche Krümmung, eine Art Haken, und an dieser Hakenkurve schien etwas die Pilzwolke der Auswirkungen zu durchschneiden und wie ein Messer nach den Ursachen zu stechen.
    »Wenn wir an einen Ort und eine Sonne kommen, die mir fremd erscheinen«, sagte Koh, »werde ich dir mitteilen, welche Dinge ich dort lese, und du wirst mir ihre Namen nennen.«
    Ich schnalzte bejahend. Das System, von dem sie sprach, war nichts Ungewöhnliches. Im Protokoll des Spieles existierten sogar Präzedenzfälle. Zum Beispiel konnte ein Klient den Addierer fragen, was auf ihm einer geplanten Reise wahrscheinlich widerfahren wird. Wenn er von einem Ort spricht, den er besucht hat, der Addierer aber nicht, wird der Addierer die Grundrisse skizzieren, den Klienten aber bitten, Besonderheiten unterwegs zu klären.
    »Dreihundertneunundfünfzig, fünfhundertsechs«, sagte sie. Sieschritt ein Bündel von zweiundfünfzig Sonnenjahren voran, dann noch eins, und noch eins. Koh beschrieb, wie die Juwelenstädte im Dschungel versanken, und ich stellte sie mir vor wie einen rückwärts laufenden Film mit roten chinesischen Feuerwerksraketen vor einem grünen Himmel. Ix, Axcalamac, Yaxchilán, Bonampak, Palenque, Kaminaljuyú, Tiak‘al, Uaxactún und Tonil lösten sich in der Welle des Zerfalls auf, die von den Ruinen des Reiches von Teotihuacán ausging. Im Norden erblühten neue Städte, Kan Ec, Rosa Berg, Tula, Feuersteinsee, Chichén, Enger-Niemals-Leerer-Brunnen, Uxmal und Mayapán. Später, nach Beginn des zehnten B‘ak‘tuns, kristallisierten neue Pyramidengruppen im See, nahe dem Zentrum des Bretts, aber südlich und westlich der Ruinen von Teotihuacán: Tlaxcala, Tenochtitlán und einhundert andere Städte des aztekischen Dreibundes. Soldatenreihen strömten aus den Hauptstädten wie die Treiberameisen und breiteten sich über Mesoamerika aus. Ich warf einen Blick auf Koh. Sie strengte sich an, trug mich durch die Geschichte, als surfte sie auf einer Lavascholle und ich ritte auf ihrem Rücken. Wenn Sie wettkampfmäßig Schach oder Go spielen, oder wenn Sie an Neo-Teo II teilnehmen oder wie auch immer das neuste, nicht-triviale Computerspiel heißt, dann kennen Sie das Gefühl, den geistigen Schmerz, viele Bälle in der Luft zu halten. Selbst wenn Sie ein Sportler sind, ist es das Gleiche. Sie bieten die letzte Anstrengung auf und glauben, Sie können es nicht schaffen, und dann gelingt es Ihnen doch, Sie durchbrechen die Wand und kommen da hoch, doch dann gibt es keine Möglichkeit, wieder herunterzukommen, und Sie geraten in Panik und rufen nach einem Beobachter. Koh behielt Tausende von Möglichkeiten im Kopf und sah zu, wie sie sich von ihrem Alter-Ego-Stein ausbreiteten, und mit jedem Zug wählte sie eine von ihnen aus. Kanus in der Größe von Städten glitten vom Meer auf den roten Boden des Brettes. Koh sah die Tarpun-Menschen wieder, sie sah Brombeeren aus Quadratmeilen gebräunter Haut hervorkriechen, Lungen, die vor Pusteln strotzten, Leiber, die starben und zu rasch verdarben, um sie zu verderben. Sie rückte nach 1519 vor, das Jahr, in dem Hernando Cortez Mexiko-Stadt erreichte, nur wenige Kilometer von den Ruinen Teotihuacáns entfernt. Die weißen Städteinmitten des Sees schrumpelten unter aufflackernden Flammen zusammen. Sie zog wieder.
    »9 Wind, 10 Gedanke, sechzehntes k’atun«, sagte sie. Das war der 4. Februar 1525 n. Chr. Der See trocknete zu Schlamm und verwehte in Staubstürmen.
    »Er vernichtet uns beinahe«, sagte sie.
    »Wer?«, fragte ich.
    Sie beschrieb einen Fischmenschen mit orangefarbenem Haar und langem Bart.
    Ich sagte, ich wisse, wer das sei.
    Wer es sei, fragte sie mich mit Gesten.
    »Pedro de Alvarado.«



(53)
    Koh wiederholte den Namen. Ihn mit ihrer Stimme ausgesprochen zu hören verursachte mir eine Gänsehaut.
    »Jetzt sind wir Sklaven«, sagte sie. Ich konzentrierte mich wieder auf das Spielbrett. Mittlerweile war es so groß wie die westliche Hemisphäre, und Völker zogen über die Kontinente wie lose Perlen auf einem Teller. Sie beschrieb Städte, die sich alle paar Jahreszeiten in der Größe verdoppelten wie Bodenpilze, und dunkle Doppelwurzeln, über die feuchte Riesenwürmer glitten. Ich sagte ihr, was sie meiner Ansicht nach sah, und sie wiederholte das Wort: »Eisenbahnen.« Sie bewegte sich vom 2. Dezember 1917 nach 1918, zu den Daten der Erdbeben, die Ciudad de Guatemala zerstört hatten. Sie beschrieb, wie sich die Wurzeln vermehrten und knorrig wurden und

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