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2012 – Das Ende aller Zeiten

2012 – Das Ende aller Zeiten

Titel: 2012 – Das Ende aller Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian D’Amato
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ausgetretene Stufen hinauf. Um mich waren große Gestalten, die ich aber nicht sehen konnte – oder genauer, die ich nicht zu visualisieren vermochte, denn eigentlich ist es gar nicht so, dass man die Landschaft des Spieles sehen könnte; eher erhält man ein inneres Gefühl dafür. Vielleicht ist es wie bei diesem blinden Bergsteiger, der in Tibet noch immer ständig neue Rekorde setzt. Weil er kein Gesamtbild auf einmal erfassen kann, muss er die Informationsbröckchen nacheinander aufnehmen, sich seinen Weg über Traversen zwischen gestaltlosen Hängen und dem klaffenden Unbekannten ertasten und dann innerlich ein Modell der Route erstellen, mühsam und eindimensional, als zöge er Perlen auf eine Schnur auf. Die Stufen stiegen zu 4 Ahau hoch. LEON zog. Ich zog. Höher, höher. Na los. Von irgendwo aus der Nähe der Spitze kam ein Geräusch oder eher ein Gefühl wie die Erinnerung an ein Geräusch, ein leises, ungleichmäßiges Murmeln, das mich an etwas erinnerte, das ichvor langer Zeit gehört hatte … hmm. Die Erinnerung lag mir auf der mentalen Zunge, und trotzdem kam ich nicht darauf. Mach dir keine Gedanken. Konzentrier dich. Ich spürte, das nahe der Kegelspitze eine Mulde war, etwas, das wir auf Ch’olan ein k’otb’aj nennen, eine Höhle-im-Himmel. LEON zog und versuchte mich die Steigung wieder hinunterzudrängen. Ich brachte einen weiteren Schädel ein und setzte ihn. LEON machte einen Gegenzug. Hmm. Er zieht so, ich ziehe so, er zieht so … okay. Ich stieg weiter hoch.
    Er zog. Ich zog. Höher, immer höher. Mir war, als wäre es rostroter Stein, so wie Bimsstein aus den Badlands, der unter meinen Füßen bröckelte. Höher. Ich hatte schon das Gefühl, die Baumgrenze hinter mir gelassen zu haben. Er zog. Ich zog. Höher. Nun war ich so hoch, dass nicht einmal die Kondore hierherkamen. Ich befand mich am Westhang des Berges, wo es noch ein wenig Wärme von der runzligen Sonne gab. Es war eine andere Sonne, nicht die alltägliche Sonne. Es war die Sonne des B’ak’tun, die 394-Jahres-Sonne, die ihren Zenit erst an 4 Ahau erreichen würde. Und da wir uns auf der anderen Seite der Welt befanden – der gespiegelten Seite, wenn Sie so wollen –, stieg sie im Westen auf.
    Höher, höher. Er zieht so, ich ziehe so. Ich zog.
    Aaah.
    Eine Unterbrechung trat ein.
    Mir war, als stände ich auf einem Treppenabsatz, einem Plateau oder einer Plattform, die man Tablero genannt hätte, wenn man den Berg als die Ruine einer mul im Teotihuacánischen Stil deutete. Nicht ganz so weit entfernt befand sich eine weite Öffnung in dem ebenen Absatz, ein gezacktes schiefes Oval mit der Andeutung eines tiefen Schachtes, der schräg in den Berg hinunterführte, und gleich dahinter kam die nächste Erhebung des Berges, der Talud, der sich mit leichter Neigung in die Höhe reckte … und weiter oben, an der Kante des nächsten Tableros, glaubte ich gerade eben einen gewaltigen buckligen Felsblock auszumachen, der im niedrig einfallenden Unlicht stumpf orange wirkte. Ich suchte mir meinen Weg. LEON zieht so, ich ziehe so. Okay.
    Das Geräusch wurde lauter, oder vielleicht sollte ich sagen, das Gefühl von Schall intensivierte sich. Ein tiefes Blöken war es, ein fleischiges Trompeten, und es kam eindeutig aus der Grube. Aus einem unerfindlichen Grund merkte man den Echos an, dass die Höhle innen größer war als der Berg außen und mit Wesen vollgestopft. Sie erinnerten an Fledermäuse, aber es waren keine. Vielleicht hingen sie in Familientrauben beisammen wie Fledermäuse – oder wenigstens scharten die Familien sich zusammen –, und man merkte, dass es so viele waren, wie es in einer großen Höhle Fledermäuse gibt, sogar mehr noch, Billionen von ihnen. Aber sie klangen nicht wie Fledermäuse. Sie waren größer, und irgendwie erhielt ich den Eindruck, dass sie haarlos seien. Was waren sie? Sie erinnerten mich an etwas aus meiner Kindheit, aber sie hatten nichts mit Guatemala zu tun, sondern … ja. Ja, klar. Ich hab’s.
    Sie erinnerten mich an Eumetopias jubatus . Irgendwann in meinem dritten Jahr in Utah nahmen die Ødegårds mich auf einen Kirchenausflug nach San Francisco und weiter nach Seattle mit, und auf dem Rückweg hielt der Bus an den Seelöwenhöhlen an, einem privaten Vergnügungspark knapp außerhalb einer Stadt namens Florence an der Küste von Oregon. Im Frühling sammeln sich dort etwa dreihundert Steller’sche Seelöwen auf den Felsen zur Paarung. Mit einem Aufzug fährt man den

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