2012 – Das Ende aller Zeiten
Höhlenöffnung fallen und sie für immer verschließen wollte, und als ich näher ging, glaubte ich einen einzelnen Kiesel zu finden, der in dem Spalt zwischen dem Brocken und dem Felsbett klemmte. Dann war mir, als ertastete ich eine Schnur, die um das Steinchen gewunden und so straff gespannt war wie die C 8-Saite eines Klaviers. Sie führte in den leeren Raum links von mir, und ich begriff, dass das Ganze eine Todesfalle war, eine Falle à la Wile E. Coyote, wie die Fallen, mit denen die Paiute-Indianer Goffer und Wüstenfüchse zermalmen. Und aus irgendeinem Grund kam es mir vor, als hielte jemand weit entfernt das andere Ende der Schnur und bereite sich vor, den Stein wegzuziehen und den Felsbrocken vor den Schacht stürzen zu lassen. Und die einzige Möglichkeit, das zu verhindern, sodass die fremden Wesen rechtzeitig die Höhle verlassen konnten, bestand darin, den Dreckskerl zu finden, der die Schnur hielt – den Doomster –, und ihn davon abzuhalten, daran zu ziehen.
Ich lehnte mich in den Ergosessel zurück und riss an einem Büschel meines Gott sei Dank nachwachsenden Haares. Ich fühlte es kaum. Ich versuchte meine Nase zu berühren, konnte aber nicht sagen, ob ich Hautkontakt hatte, ohne zu drücken. Taubheit, dachte ich. Verdammt,ich bin ganz schön drauf. Ich beugte mich wieder vor, und es war, als bräuchte ich nur die Hand auszustrecken und könnte die Schnur berühren. Sie war zu dünn, als dass ich sie sehen konnte – oder genauer, mir vorstellte, sie zu sehen –, aber sie hatte noch immer eine Gräue an sich, die bedeutete, dass sie sich in Richtung Nordnordwest streckte, hinaus in den schwarzen Quadranten, aber dicht am weißen. Ich rieb mir wieder den Kopf und trat zurück, und da war mir, als könnte ich die Schnur fast sehen, wie sie sich über meinen Kopf hinweg spannte, bis sie im Dunst über dem Pazifik verschwand. Alaska, fragte ich mich. Von hier aus wusste ich es nicht zu sagen. Ich tastete wieder danach. Auf keinen Fall konnte ich an der Schnur heruntergleiten oder so etwas – nicht nur deshalb nicht, weil sie imaginär war (obwohl sie mir im Augenblick so überzeugend real erschien, wie es nur möglich war), sondern weil das Spiel so nicht funktioniert. Ich musste der Schnur über Land folgen, wie es aussah. Ich eilte die Nordtreppe herunter und hetzte nach Nordwesten über die Ebene. LEON folgte mir. Ich sprang wieder vor. Er setzte nach. Manchmal glaubte ich, die Schnur über mir ganz schwach zu spüren. Das bedeutete, dass mein letzter Eindruck sich bislang richtig anfühlte, und unser Freund – wir hatten längst entschieden, dass es ein Kerl war, weil Mädels mit Völkermord im Allgemeinen nicht so viel am Hut haben – irgendwie mit der pazifischen Nordwestküste verbunden war. Nicht dass es seine Identität irgendwie eingegrenzt hätte. Es war, als sagte man »asiatische Küche«. Die Suchmaschinen stellten ein paar tausend Terabyte Daten mehr zusammen. Verdammt, bei diesem Zeug brauche ich anspruchsvolle Berechnungen. Mehr Stochastik. Bessere Kurvenanpassung. Vielleicht irgendwelchen Kolmogorow’schen Beschränkungsfunktionenscheiß. Trotzdem, er muss irgendwo da drin sein. An diesem Punkt gibt es kaum jemanden, der vollkommen rausfällt. Um im Online-Universum völlig undokumentiert zu sein, müssten Sie schon ein neugeborenes Baby aus einem Jäger-und-Sammler-Stamm im Gebirge Neuguineas sein. Dann wären Sie aber sowieso nicht der Doomster. Unser Freund musste technische Fertigkeiten besitzen. Dass er in den vergangenen vierzig Jahren keine halbwegs anständige Highschool besucht hatte, war fast undenkbar. Selbst wenn er Hausunterricht erhalten hatte, wäreer beim Schulministerium eines Staates registriert, zum Beispiel. Damit grenzt die Spanne sich schon auf eine schlappe Milliarde Personen aus einer Weltbevölkerung von 6,8 Milliarden ein. Unter dem Aspekt der pazifischen Nordwestküste können wir uns auf, sagen wir, dreißig Millionen beschränken. Wo also ist das Problem?
Ich bewegte mich drei Felder nach Osten, weiter in die Zukunft, in den November. Daten wirbelten vorüber, Namen, Anschriften, Sozialversicherungsnummern, Militärdienstakten, Investitionen, Domainnamen, Postleitzahlen, Strafakten, angeblich gelöschte Jugendstrafakten, Listen von Firmenangestellten, Listen von Bundesangestellten, Berufsvereinigungen, Gewerkschaften, Innungen, Klubs, Geheimgesellschaften, Kirchenmitgliedschaften, Zeitschriftenabonnements, Google-Trefferlisten,
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