2012 - Die Prophezeiung - Alten, S: 2012 - Die Prophezeiung - Phobos
Viracochas gehört.
Die Angst hat Chilam Balam bis über die Grenzen seiner psychischen Gesundheit hinausgetrieben. Sieben Ara flüstert in seinem Gehirn, der Folterknecht lauert in den Schatten seines Geistes. Der Dämon kriecht unter seine Haut und erstickt jeden rationalen Gedanken. Weil die betäubende Wirkung des Burundanga den Jaguar-Priester fest im Griff hat, kann der Hexenmeister der Maya die bereits zu Schaden gekommene Seele Balams mit noch mehr Entsetzen erfüllen. In lebhaften Alpträumen wird er Zeuge, wie Sieben Ara seiner Seelengefährtin bei lebendigem Leib die Haut abzieht und seine Söhne von den Söhnen Sieben Aras vergewaltigt werden. Jeder Traum endet mit einem Schrei, der einem
das Blut in den Adern gefrieren lässt, und jeder Schrei löst einen weiteren Faden aus dem Gewebe seiner Existenz, bis seine Identität nur noch aus nacktem Entsetzen besteht.
Wie eine Herbstbrise durchdringt Viracocha den Nebel. Die Gegenwart des großen Lehrers lässt die Flammen in seinem Gehirn erlöschen, so dass die weißglühenden Synapsen sich abkühlen können. Von einer beruhigenden Stille umfangen, kriecht Balams Geist aus seiner Muschelschale und erkundet eine Existenz, in der das dämonische Locken seines Folterknechts verstummt ist.
Er öffnet die Augen. Dunkelheit ist um ihn. Er weiß nicht, wo er ist, wer er ist oder wie er an den Ort kam, an dem er sich befindet. Er steht auf und stößt mit dem Kopf gegen Stein. Er legt sich wieder hin und drückt seine Füße gegen das unbekannte Objekt. Mit einem archaischen Schrei legt er alle Kraft in seine Beine und drückt den fünf Tonnen schweren Deckel des uralten Kalksteinsarkophags beiseite.
Immanuel Gabriel klettert aus dem Sarg Pakals des Großen, sein Geist ist wieder klar, die Angst ist verschwunden.
12
»Ich werde die Erde verbrennen; es wird ein Kreis am
Himmel sein. Ich werde die Erde verbrennen; der tiefste
Grund wird brennen in jenem Katun, in der Zeit, die da
kommen soll. Glücklich ist derjenige, der hört, wie die
Weissagung ausgesprochen wird, doch weinen wird er
über sein Unglück in der Zeit, die da kommen wird.«
CHILAM BALAM, Das Buch Oxkutzcab
Earth News & Media
2. Juli 2047: Etwa eine Milliarde begeisterter Beobachter auf der Nordhalbkugel der Erde richteten letzte Nacht ihre Blicke und ihre Kameras auf die möglicherweise ungewöhnlichste Aurora Borealis, die jemals zu beobachten war. Ab kurz nach 21 Uhr Ostküstenzeit konnte man die Lichter in etwa 200 Kilometern Höhe über dem Nordpol erkennen. Sie hatten die Form einer blutroten, leuchtenden Spirale, die sich in immer größeren Kreisen aufwickelte, dabei zunächst hellgrün und dann blau wurde und schließlich als violettes Band endete,
das man sogar noch in einer so weit im Süden liegenden Stadt wie Sacramento, Kalifornien, erkennen konnte. Die Aurora Borealis und ihr südlicher Zwilling, die Aurora Australis, treten bei erhöhter Sonnenfleckenaktivität auf und werden von Elektronen und Protonen erzeugt, die mit hoher Geschwindigkeit auf die Erde treffen, wobei sie im Van-Allen-Strahlengürtel abgefangen werden, der den Planeten vor kosmischer Strahlung schützt.
Die elektrisch geladenen Teilchen stoßen dabei mit Molekülen in der Erdatmosphäre zusammen, wodurch sich Wasserstoffatome bilden, die während dieses Prozesses verschiedenfarbiges Licht emittieren. Obwohl dieser Vorgang ein atemberaubendes Schauspiel darstellt, können die unsichtbaren magnetischen Teilchenschauer Satelliten und Stromnetze ernsthaft beschädigen. Dr. Kassandra Horta, Atmosphärenforscherin an der University of Wyoming, schien allerdings unbesorgt. »Während der letzten sechs Monate gab es keine ungewöhnliche Sonnenfleckenaktivität. Die Natur lädt uns einfach zu ihrer Lightshow ein, und wir sollten sie genießen, solange sie andauert.«
CERN Large Hadron Collider (LHC)
Genf
W ie ein Tiger im Käfig schleicht der sechsundsiebzig Jahre alte Physiker vor dem über dreieinhalb Meter hohen Bildschirm eines virtuellen Auditoriums hin und her. Jedes gesprochene Wort wird simultan in mehr als dreißig Sprachen übersetzt, jede Bemerkung an mehr als eine Million Computer auf der ganzen Welt gesendet.
Jack Harbach O’Sullivan hält inne, um einen Schluck aus seinem Kaffeebecher zu nehmen, und betrachtet eine Tafel, die über und über mit mathematischen Gleichungen bedeckt ist. »Wir Wissenschaftler sind eine ziemlich coole Versammlung von Schneidern, die unablässig versuchen, aus
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