2012- Die Rückkehr
ziemlich schlimm verprügelt, nur weil ich Jude war. Noch lange Zeit danach habe ich mich dafür geschämt, wer ich war. Eines Nachmittags gab mir mein
Vater eine Karte, und darin stand ein Gedicht. ›Sei deine eigene Seele und lerne zu leben; und wenn jemand dich hasst, achte nicht auf ihn. Wenn es Menschen gibt, die dich verfluchen, dann schenke ihnen keine Aufmerksamkeit. Singe dein Lied, träume deinen Traum, hoffe deine Hoffnung, bete dein Gebet.‹ Wofür du dich auch immer entscheidest, Samuel, tu das, was am besten für dich ist. Tu das, was am besten ist für … deine Seele.«
Ein Gedankensplitter, im Bewusstsein reiner Existenz
Jacob?
Bist du da draußen, mein Sohn?
Ich habe keine Möglichkeit festzustellen, ob du da bist.
Es ist, als habe die Kreatur des Abscheus eine Decke über alle meine Sinne geworfen, denn sie schirmt deine Gedankenenergie vor mir ab. Doch auch wenn ich dich nicht hören kann, bete ich darum, dass du mich noch hörst, weil ich hoffe, dass meine Erfahrungen auf Xibalba dich beschützen können.
Wir haben über Liebe gesprochen. Es ist wichtig, dass du die Macht dieses Gefühls verstehst und dass du begreifst, wie sehr seine Abwesenheit die Seele beflecken kann.
Als Michael Gabriel führte ich ein Leben ohne Glück; auf eine einsame Kindheit folgte eine bittere Jugend. Ich war das Opfer des Lebens, und meine späteren Jahre verbrachte ich isoliert in einer psychiatrischen Klinik. Selbst die wenigen kostbaren Augenblicke, die ich mit deiner Mutter verbrachte, vergingen so schnell, und der Schmerz über ihren Verlust erfüllte mich mit einer Angst, die ich nicht in Worte oder Gedanken fassen kann.
War es deshalb wirklich nur ein Zufall, dass die Hüter es so einrichteten, dass ich ausgerechnet mit dem Marskolonisten
Bill Raby die Existenz teilte - mit einem Menschen, der selbst von einer Leere erfüllt war, die mindestens so bedrückend war wie meine eigene? Nein. Ich glaube nicht mehr an Zufälle.
Aber es war nicht nur Bill Raby, der unter dieser Bedrückung litt, fast jeder Kolonist, der auf Xibalba gestrandet war, teilte unausgesprochen diese Empfindung. Es war ein Gefühl der Scham, es war das Schuldgefühl der Überlebenden, das weit über das Maß gewöhnlicher menschlicher Verzweiflung hinausging.
Neun Milliarden Menschen auf der Erde waren zugrunde gegangen, nur damit eine Handvoll Auserwählter überleben konnte. Viele von uns hatten sich »mit dem Teufel verschworen«, was bedeutete, dass wir für die Marskolonie weder durch das Los noch aufgrund unserer Verdienste ausgewählt worden waren, sondern aufgrund von Vetternwirtschaft, politischer Beziehungen und ethnischer Herkunft. Wir hatten überlebt, weil wir die richtigen Leute kannten und weil wir so viel Geld hatten, dass wir das Auswahlverfahren manipulieren konnten.
Jetzt, auf Xibalba, wurden wir von unserem unmoralischen Vorgehen innerlich fast zerrissen.
Doch ich sollte besser sagen: nicht alle von uns. Deine Cousine Lilith, ihr Sohn Devlin und der sogenannte Kreis ihrer Freunde schienen mit unserer bizarren Lage recht zufrieden.
Wir anderen jedoch waren Gefangene unserer eigenen Existenz. »Für diejenigen leben, die gestorben sind«, wurde zu unserem Glaubensbekenntnis. Und so taten wir, als freuten wir uns und als hätten die Ereignisse auf der Erde einfach nur unsere Fähigkeit zu überleben auf die Probe gestellt.
Sei fröhlich, fröhlich, fröhlich, denn das Leben ist nur ein Traum.
War Bill Rabys Existenz nur ein Traum?
Oder die Michael Gabriels? Kann man wahrhaft existieren ohne Liebe?
Ja, aber es ist eine selbst auferlegte Hölle.
Es war deine Liebe, die mich gerettet hat, Jacob, doch ich fürchte, dass du dich durch deinen selbstlosen Versuch, mich zu befreien, zu demselben Fegefeuer und demselben Schicksal verdammt hast.
Du kannst nicht einfach Hunahpu sein. Du musst dir ebenso dein Menschsein bewahren. Tritt ein in das wahre Licht. Gestehe dir zu, wieder zu lieben, oder du wirst dich auf demselben Weg wiederfinden wie deine Cousine Lilith.
Damit habe ich gesagt, was ich sagen musste. Jetzt werde ich wieder zu meinem Aufenthalt auf Xibalba zurückkehren.
Jeder Tag auf diesem fremden Planeten war in drei Schichten eingeteilt. Eine war der Arbeit für die Gemeinschaft gewidmet, die zweite bestand aus Zeit, die man für sich selbst hatte, und die dritte brachte wiederum Arbeit mit sich, denn es war entscheidend für unser Überleben, dass die Pflanzen, die wir angebaut
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