2012- Die Rückkehr
denn alle sind viel zu verunsichert angesichts der angeregten Gespräche, die sie mit ihren unsichtbaren Freunden führt.
Lilith sieht aus dem Fenster und sagt mit einem Schulterzucken zu Brandy: »Daran ist nur Jacobs dämliche Mutter schuld. Wenn sie oder Jacob jemals herausfinden würden, wann ich wirklich geboren bin, würde er nie wieder mit mir sprechen.«
Das ist doch absoluter Schwachsinn, Mädchen. Du liebst Jacob, und Jacob liebt dich. Glaubst du, dass es deine Bestimmung ist, dass ihr zusammen seid?
»Ja.«
Dann vergiss Jacobs Mutter und sorg dafür, dass es Wirklichkeit wird. Hier ist deine Haltestelle. Wir sehen uns morgen.
Der Schulbus rollt an den Straßenrand und hält.
Lilith steigt die Stufen hinab und geht auf Quentons Haus zu. An den von der Schule organisierten nachmittäglichen Aktivitäten nimmt sie nicht teil, aber sie hat es auch nicht eilig, zu ihrem Vormund nach Hause zu kommen.
Regina Johnson rennt ihr nach. »Hey, Robinson, warte.«
Lilith geht einfach weiter.
Regina holt sie ein. »Mit wem hast du dich im Bus unterhalten?«
»Mit Brandy.«
»Brandy - und weiter?«
Lilith geht schneller.
»Hey, warte. Ich hab irre guten Stoff. Wärst du gerne high?«
»Was willst du, Regina Johnson?«
»Immer locker bleiben, Mädchen. Ich will dich einfach nur besser kennenlernen.«
»Warum?«
Das Mädchen mit dem rotblonden Haar lächelt. »Gehst du schon mit jemandem zu Bretts Party?«
»Nein.«
»Warum kommst du nicht einfach mit mir?« Reginas Finger gleiten über Liliths Pobacken, die noch immer in Bewegung sind.
Lilith bleibt abrupt stehen. »Ich bin nicht scharf auf Mädchen.«
»Da hab ich aber was anderes gehört.«
»Ach. Und was denn?«
»Ich weiß auch nicht, es ist nur … Du weißt schon, du bist so hübsch, und ich sehe dich nie mit irgendwelchen Jungen.«
»Glaub nicht alles, was du hörst. Ich habe einen Freund. Er lebt nur rein zufällig nicht hier.«
»Oh. Na schön. Aber bist du nicht wenigstens ein klein bisschen bi?«
»Ich muss gehen.«
»Warte. Komm, wir gehen durch den Wald. Wir teilen schnell einen Joint, du weißt schon, nur als Freunde. Es sei denn, du hast es eilig, nach Hause zu kommen.«
Regina geht in Richtung Wald, mit Lilith im Schlepptau.
Longboat Key, Florida
Immanuel Gabriel ist allein im SOSUS-Labor, als seine Tante Evelyn an die offene Tür klopft. »Hast du etwas dagegen, wenn ich mich zu dir setze?«
Der dunkelhaarige Zwilling macht sich nicht die Mühe aufzublicken. »Jake ist nicht hier.«
»Eigentlich wollte ich mit dir sprechen.«
»Wozu?«
Sie kommt näher, wobei sie sich wegen der Arthritis in ihrer linken Hüfte auf einen Stock stützt. »Woran arbeitest du?«
»Ich zeichne ein neues Bewegungsmuster der Wale auf.«
»Darf ich mithören?«
Immanuel schließt einen zweiten Kopfhörer an das Gerät an und reicht ihn der alten Dame.
»Es gibt so viele von ihnen. Sie sind so wunderbare Geschöpfe.«
»Ich bin nicht wie er , weißt du?«
»Ich weiß.«
»Er macht mich verrückt.«
»Dein Bruder kann sehr … anstrengend sein.«
»Er ist völlig durchgeknallt. Warum unterstützt du ihn auch noch?«
»Vielleicht bin ich ja auch völlig durchgeknallt.«
Immanuel lächelt. »Hey, willst du mal was wirklich Cooles sehen?« Evelyn wartet geduldig, während der Teenager ein Bild auf den Monitor holt, das ein vierbeiniges, rattenartiges Tier darstellt. »Siehst du diese Kreatur? Sie heißt Pakicetus . Es ist ein prähistorischer Wal.«
»Das ist ein Wal?«
»Na ja, es ist der Vorfahre der Wale. Aus irgendeinem unbekannten Grund ging Pakicetus vor 50 Millionen Jahren
ins Meer zurück. Das Tier verlor schließlich sein Fell, das durch eine dicke, mehrlagige Fettschicht ersetzt wurde. Die Natur ließ sogar die Nasenöffnungen an die Oberseite des Schädels wandern, sodass diese Tiere leichter atmen konnten.«
Evelyn lächelt den Teenager an. »Du liebst Wale wirklich sehr, oder?«
»Ja, schon.« Er fährt auf der Seite nach unten. »Schau, hier. Das ist Rodhocetus , die erste Walart, die eine echte Fluke und ein Blasloch besaß.«
»Das ist faszinierend. Wale haben wirklich einen langen Weg hinter sich, nicht wahr?«
»Kann man so sagen.« Immanuel bewegt sich weiter durch die Seite. »Moderne Meeressäuger bilden schließlich zwei Unterarten. Bartenwale, wie zum Beispiel Blauwale und Buckelwale, haben keine Zähne. Zahnwale wie Pottwale und Orcas sind Raubtiere geblieben. Sie haben einen zusätzlichen Sinn entwickelt,
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