2012 - Folge 7 - Ein Grab im Dschungel
nicht aus der Welt zu räumen gewesen war. Aber ein weiterer, wichtiger war seine stete Rastlosigkeit gewesen, sein ewiges Abenteurerleben … dessen Ende buchstäblich nicht absehbar war. Das war Abby zu viel geworden.
Tom seufzte innerlich. Es war müßig, darüber nachzudenken. Weil es unmöglich zu ändern war.
Seine Rechte schloss sich fester um Maria Luisas Hand, während sie mit der anderen Alejandro den Teller mit ihrem Croissant hinschob, das sie nicht einmal zur Hälfte aufgegessen hatte. Ihr Bruder lächelte dankbar und machte sich darüber her.
»Wird sie den Armreif denn auch finden?«, wandte sich Maria Luisa dann wieder an Tom.
»Sie hat alle Informationen, die ich darüber gefunden habe«, antwortete er, »dazu meine eigenen Notizen und ein paar Tipps, sollte sich die Suche als doch nicht so einfach erweisen.« Die Erfahrung hatte Tom gelehrt, dass selten etwas so einfach war, wie es eigentlich sein müsste. »Ich habe ihr die Übersetzung zugefaxt«, fuhr er fort.
»Von Pauahtuns Geld?« Maria Luisa zwinkerte ihm zu.
Tom nickte. »Ja. Er ist im Herzen eben doch ein netter Bursche.«
»Ist er gar nicht«, setzte Alejandro der lockeren Unterhaltung kauend einen Dämpfer auf. »Nicht nett, no, qué va, Señor.«
Und er hatte ja recht, auf seine schlichte Art. Es war nicht nur Tom gewesen, der Alejandro und seine Schwester ins Unglück gestürzt hatte. Verkörpert wurde dieses Unglück im Grunde genommen durch Pauahtun und seine verfluchte Loge.
Maria seufzte, laut. »Aber diese Suchaktion ist ja nun keine Sache von ein paar Stunden …«
»Nein, ein paar Tage wird das schon dauern – wenn alles glattgeht«, sagte Tom. Abby musste nicht nur erst einmal von Washington nach Yucatán fliegen und dort den Armreif finden, sie musste ihn anschließend auch noch um die halbe Welt zu Tom bringen, zu einem Ort, an dem er sich jetzt schon mit ihr verabredet hatte.
Also kann ich ihr wirklich nicht völlig egal sein, dachte er angesichts von Abbys zu erwartenden Mühen .
»Und was machen wir bis dahin?«, mischte sich Maria Luisas Stimme in seine Gedanken. »Willst du dich wieder in irgendeiner verfallenen Kirche verstecken? Oder schließen wir uns zur Abwechslung mal einem Zirkus an?« Sie lächelte; in ihrem Ton lag kein Vorwurf. Aller Mühsal zum Trotz versuchte sie die vertrackte Lage mit etwas Humor zu nehmen.
»Nein«, antwortete Tom und trank seinen Milchkaffee aus. Auf die Idee, wo sie sich verstecken konnten, hatte ihn ein zentraler Begriff aus den Aufzeichnungen von Diego de Landa gebracht. Auch wenn der Spanier natürlich einen anderen Ort gemeint haben musste.
»Wie verspochen gibt’s erst mal neue Klamotten für alle. Und dann«, er senkte die Stimme verschwörerisch, »bringe ich euch an einen der sichersten Orte der Welt.«
Die beiden Gendarmen, die ihn hergebracht hatten, waren mittlerweile wieder verschwunden. Dafür hatte der hiesige – dessen Name, wie Pauahtun mitbekommen hatte, Cruchot war – einen Arzt gerufen. Der dickleibige alte Quacksalber hatte Pauahtuns Kopfwunde untersucht, gesäubert, als »halb so wild« abgetan und verpflastert. Jetzt saßen sich Arzt und Gendarm an einem Schreibtisch gegenüber und genehmigten sich ein Schlückchen.
Pauahtun war schon auf der Fahrt von der Brücke zum Revier wieder zu sich gekommen, täuschte aber immer noch überzeugend Bewusstlosigkeit vor, während er auf der Pritsche in der einzigen Zelle der Gendarmerie lag. Man hatte ihn von seinen Fesseln befreit und eine kratzige Wolldecke über ihn gebreitet. Die Zellentür mit dem vergitterten, glaslosen Loch auf Kopfhöhe hatte Cruchot abgesperrt, »für alle Fälle«, wie er gesagt hatte.
Er und der Doktor kannten sich offenbar seit ihrer Schulzeit. Die beiden alten Männer sprachen darüber, als läge diese Zeit nicht mindestens fünfzig Jahre zurück, sondern gerade mal einen Sommer lang.
Wie jämmerlich, dachte Pauahtun, mit geschlossenen Augen daliegend, aber auf jeden Laut lauschend, denn sein Ohr zeichnete ihm Bilder dessen, was er nicht sah.
Er war in eine besondere Art von Trance versunken: Einerseits war er hellwach, hatte sich andererseits aber tief in sich selbst zurückgezogen, ans Ufer seiner inneren Kraftquelle, und von dieser trank er wie ein Jaguar am Rand eines Wasserlochs, entspannt und doch jederzeit zum Sprung bereit.
Nur so war das Leben, das er führte, zu bewältigen. Pauahtun nutzte jede Möglichkeit, um frische Energie zu tanken, und er hatte eigene und
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