2012 - Schatten der Verdammnis
dass Sie unter starkem politischem Druck stehen, aber ich würde lieber keine Spekulationen anstellen.«
»Sei mal nicht so verbissen, Marty.« Taber beugt sich vor. »Ich werde Ihre Frage beantworten, Ms. Becker. Eines ist klar: die Vorstellung einer Naturkatastrophe können Sie vergessen. Das war weder ein Erdbeben noch ein Vulkan. Meiner Meinung nach haben wir es mit dem Test einer neuen Thermonuklearwaffe zu tun, einer Waffe, bei der es mir heiß und kalt über den Rücken läuft.«
Martinez schüttelt den Kopf. »Steven, das kann man doch nicht sicher sagen...«
»Ach, Marty, lass doch das Versteckspiel. Wir vermuten beide dasselbe. Es wird ohnehin bald ans Tageslicht kommen.«
»Was wird ans Tageslicht kommen? Reden Sie doch, meine Herren! Was vermuten Sie?«
Martinez klappt wütend seinen Laptop zu. »Etwas, wogegen die Mitarbeiter unseres Instituts schon seit zehn Jahren protestieren, Ms. Becker. Es geht um Fusionswaffen, genauer gesagt um Waffen, die auf reiner Fusion basieren.«
»Tut mir Leid, auf dem Gebiet bin ich nicht sonderlich beschlagen. Was meinen Sie mit reiner Fusion?«
»Es überrascht mich nicht, dass Sie den Begriff nicht kennen«, sagt Taber. »Aus irgendeinem Grund ist dieses Thema nie ins Zentrum des öffentlichen Interesses geraten. Also, es gibt drei Arten von Kernwaffen: die konventionelle Atombombe, die Wasserstoffbombe und die Fusionsbombe. Die Atombombe bedient sich der Kernspaltung, bei der ein schwerer Atomkern in zwei oder mehr Teile gespalten wird. Im Grunde ist die Atombombe eine mit elektronisch gezündetem Sprengstoff gefüllte Kugel. In dieser Kugel befindet sich ein faustgroßer Plutoniumball, und in dessen Kern ist eine Vorrichtung, die Neutronen freisetzt. Detoniert der Sprengstoff, wird das Plutonium zu einer geschmolzenen Masse zusammengepresst. Atome werden in mehrere Einzelteile aufgespalten und lösen eine Kettenreaktion aus, bei der eine gewaltige Menge Energie freigesetzt wird. Bitte unterbrechen Sie mich, wenn es Ihnen zu schnell geht.«
»Nur weiter.«
»Bei der Wasserstoffbombe absorbiert Uranium-235 ein Neutron. Die Spaltung tritt ein, wenn das Neutron zerfällt, wodurch zwei kleinere Kerne, mehrere Neutronen und viel Energie produziert werden. Dadurch entstehen die Temperatur und die Dichte, die für die Fusion von Deuterium und Tritium notwendig sind, zweier Wasserstoffisotope, die...«
»Langsam, langsam, jetzt komme ich wirklich nicht mehr mit.«
Martinez, der vor sich hin geblickt hat, wendet der Botschafterin das Gesicht zu. »Die Details sind nicht so wichtig. Worauf es ankommt, ist die Tatsache, dass Kernfusion etwas anderes ist als Kernspaltung. Fusion ist eine Reaktion, die eintritt, wenn zwei Wasserstoffatome verschmelzen und ein Heliumatom bilden. Dieser
Prozess, der auch die Sonne zum Leuchten bringt, setzt eine wesentlich größere Energiemenge frei als die Kernspaltung, wodurch eine noch stärkere Explosion ermöglicht wird.«
Taber nickt. »Der entscheidende Faktor für die Wirkung einer Thermonuklearwaffe ist die Methode zur Auslösung der Explosion. Eine reine Fusionsbombe unterscheidet sich insofern von der Wasserstoffbombe, als es bei ihr keiner Kernspaltung bedarf, um den Fusionsprozess auszulösen. Das bedeutet, dass bei ihr weder Plutonium noch angereichertes Uran verwendet werden müssten. Erfreulich daran wäre, dass die Abwesenheit von Plutonium zu nur wenig oder gar keinem radioaktiven Niederschlag führen würde. Weniger erfreulich ist, dass die Sprengkraft einer relativ kleinen reinen Fusionswaffe wesentlich größer wäre als die der modernsten Wasserstoffbombe.«
»Was heißt das konkret?«
»Ich nenne Ihnen mal ein Beispiel«, schaltet Martinez sich wieder ein. »Die Atombombe, die wir auf Hiroshima geworfen haben, hat eine Energiemenge von fünfzehn Kilotonnen - also fünfzehntausend Tonnen - TNT erzeugt. Im Epizentrum erreichte die Temperatur knapp viertausend Grad Celsius, die Windgeschwindigkeit schätzungsweise sechzehnhundert Stundenkilometer. Die Mehrzahl der Menschen, die sich in einem Umkreis von einem Kilometer um das Epizentrum befanden, wurde getötet.
Das war eine Explosion mit einer Stärke von fünfzehn Kilotonnen. Heutige Versionen der Wasserstoffbombe haben die Sprengkraft von zwanzig bis fünfzig Megatonnen TNT - also Millionen Tonnen - und sind damit zwei- bis dreitausendmal stärker als die Bombe von Hiroshima. Eine reine Fusionswaffe würde einen noch größeren Schaden anrichten. Um die Wirkung
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