2012 - Schatten der Verdammnis
Jahre alt war, hat seine Mutter zum zweiten Mal geheiratet und ist mit seinem Stiefvater nach New Jersey gezogen. Dort ist der junge Ennis aufgewachsen, dort hat er seine Führungsqualitäten erworben und sie zurechtgeschliffen.
Der sportliche Wettkampf war das einzige Feld, auf dem Chaney sich zu Hause gefühlt hat, das einzige Feld, wo die Hautfarbe keine Rolle spielte. Kleiner als seine Altersgenossen, hat er sich trotzdem von niemandem
einschüchtern lassen. Nach der Schule hat er stundenlang trainiert und seine Aggression kanalisiert, um seine athletischen Fähigkeiten zu entwickeln, hat dabei Disziplin und Selbstbeherrschung erworben. Im letzten Highschool-Jahr hat er als Quarterback im zweiten Footballteam die höchste Auszeichnung bekommen und war der beste Spieler seines Staates im ersten Basketballteam. Es gab nur wenige Verteidiger, die dem aggressiven kleinen Angreifer etwas entgegensetzen konnten, der seinen Gegnern lieber den Knöchel gebrochen hätte, als sich den Ball wegnehmen zu lassen. Außerhalb des Spielfelds aber gab es kaum einen wärmeren, herzlicheren jungen Mann als ihn.
Seine Basketballkarriere fand abrupt ein Ende, als er sich im dritten Collegejahr an der Patellasehne verletzte. Obwohl er lieber Trainer geworden wäre, ließ er sich von seiner Mutter, die in der Zeit der Rassentrennung aufgewachsen war, dazu überreden, in die politische Arena zu steigen. Da er mehr als genug eigene Erfahrungen mit dem Rassismus gemacht hatte, wusste Chaney, dass die Politik der zentrale Bereich war, in dem etwas geändert werden musste.
Sein Stiefvater hatte Beziehungen zur Republikanischen Partei in Philadelphia. Obwohl Chaney ein überzeugter Anhänger der Demokraten war, glaubte er als republikanischer Kandidat mehr bewirken zu können. Mit demselben Arbeitsethos und derselben Leidenschaft und Intensität, die ihn im Sport so weit gebracht hatten, machte Chaney rasch Karriere in der politischen Szene der Industriestadt. Er scheute sich nie, seine Meinung zu äußern, und war immer bereit, sich zu exponieren, um sozial benachteiligten Minderheiten zu helfen.
Da er die Trägheit und die mangelnde Selbstbeherrschung seiner Parteifreunde zutiefst verabscheute, brachte er frischen Wind in die politische Szene und entwickelte sich in Philadelphia zu einem wahren Volkshelden.
Bald wurde aus dem stellvertretenden Bürgermeister Chaney der Oberbürgermeister der Großstadt. Jahre später bewarb er sich um den Senatssitz Pennsylvanias und landete einen Erdrutschsieg.
Nun, weniger als zwei Monate vor den Wahlen im November 2012, hat sich der Präsident der Vereinigten Staaten bei ihm gemeldet und ihn gedrängt, sich als Vizepräsident zur Verfügung zu stellen. Ennis Chaney, einst ein bettelarmer Junge aus Jackson ville, Florida, ist nur noch einen Herzschlag vom mächtigsten Amt der Welt entfernt.
Chaney starrt aus dem Fenster, während die Limousine auf den Capital Beltway einbiegt. Der Tod macht Chaney Angst. Man kann sich nicht vor ihm verstecken, nicht mit ihm debattieren. Er liefert keine Antworten, nur Fragen und Verwirrung, Tränen und Grabreden, viel zu viele Grabreden. Wie kann man das Leben eines geliebten Menschen in zwanzig Minuten zusammenfassen? Wie kann von einem Redner erwartet werden, ein ganzes Leben voller Hingabe in nackte Worte zu fassen?
Vizepräsident. Chaney schüttelt den Kopf und ringt in Gedanken mit seiner Zukunft.
Es ist nicht seine Zukunft, die ihm so viel Sorgen macht, sondern die Bürde, die seine Kandidatur seiner Frau und seiner Familie auferlegen wird. Senator zu werden war eine Sache; die republikanische Nominierung als Vizepräsident zu akzeptieren, ist etwas ganz anderes. Wenn Maller die Wiederwahl gewinnt, wird Chaney automatisch zum Favoriten des Jahres 2016 werden. Dabei ist er sich im Klaren, dass seine Popularität die Grenzen von Partei und Rasse überschreitet, aber es gibt immer einen kleinen Teil der Bevölkerung, mit dem man ebenso wenig debattieren kann wie mit dem Tod.
Außerdem hat er seiner Familie schon so viel zugemutet.
Chaney weiß auch, dass Pierre Borgia nach der Kandidatur giert, und er fragt sich, wie weit der Außenminister gehen wird, um zu bekommen, was er will. Borgia ist alles, was Chaney nicht ist: forsch, auf seinen eigenen Vorteil bedacht, politisch motiviert, egoistisch, unverheiratet, ein Befürworter militärischer Stärke.
Chaneys Gedanken kehren zu seinem besten Freund und dessen Angehörigen zurück. Er gibt sich offen
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