2012 - Schatten der Verdammnis
Gemächlich schaukelt das Fischerboot unter einem mit Sternen übersäten Himmel im schwarzen Wasser.
Dominique sieht Mick an, ohne im Dunkeln seine Augen erkennen zu können. »Ich glaube, wir sollten uns mal auf den Weg machen, was?« Ganz ruhig. Du klingst total nervös.
»Zuerst muss ich dir noch was sagen, Dom.«
»Vergiss es. Du kannst mir danken, indem du mir hilfst, herauszubekommen, was Iz zugestoßen ist.«
»Einverstanden, aber das war es nicht, was ich dir sagen wollte. Ich weiß, du hast noch immer deine Zweifel, was mich betrifft. Aber du solltest wissen, dass du mir vertrauen kannst. Ich hab dir sehr viel zugemutet, aber ich schwöre beim Andenken meiner Mutter, ich würde mir eher selbst was antun als zuzulassen, dass dir was passiert.«
»Ich glaube dir.«
»Und wahnsinnig bin ich auch nicht. Mir ist schon klar, dass ich manchmal so klinge, aber ich bin es nicht.«
Dominique wendet den Blick ab. »Ich weiß, Mick. Aber jetzt glaube ich wirklich, dass wir losfahren sollten. Schließlich ist unser Haus den ganzen Tag über von der Polizei beobachtet worden. Die Schlüssel müssen im Ruderhaus unter dem Kissen des Passagiersitzes sein. Setzt du dich ans Steuer?«
Mick verschwindet im Ruderhaus. Sie wartet, bis er außer Sicht ist, dann zieht sie den Revolver aus der Jackentasche. Sie betrachtet die Waffe, während ihr Folettas warnende Worte in den Sinn kommen. Der Patient wird sicher seinen Charme spielen lassen, um Sie zu beeindrucken.
Stotternd springt die Maschine an.
Dominique blickt auf die Waffe, zögert und wirft sie dann über Bord.
Jetzt hilft mir nur noch Gott...
16
29. November 2012 Golf von Mexiko
5.14 Uhr Unter dem sternklaren Morgenhimmel setzt der vierzehn Meter lange Trawler Jolly Roger seine Fahrt nach Westen fort. Dominique sitzt am Steuer und kämpft mit dem Schlaf, während ihr die Augenlider immer schwerer werden. Erschöpft legt sie den Kopf an die Kunststofflehne zurück und konzentriert sich wieder auf ihr Taschenbuch. Nachdem sie zum viertenmal denselben Abschnitt gelesen hat, beschließt sie, ihren blutunterlaufenen Augen einen Moment Pause zu gönnen.
Nur ein paar Sekunden. Nur nicht einschlafen...
Erst als das Buch ihr aus der Hand fällt, schreckt sie auf. Sie saugt tief die kühle Luft ein und blickt auf den dunklen Gang, der zur Kabine unter Deck führt. Da drunten schläft Mick irgendwo im Dunkel. Der Gedanke tröstet sie ebenso, wie er ihr Angst macht. Obwohl die automatische Steuerung eingeschaltet ist, will sie nicht einschlafen, und während sie allein im Ruderhaus sitzt, lässt die Fantasie ihre tiefsten Ängste auf sie einstürmen.
Das ist doch lächerlich. Mick ist kein Mörder. Er würde mir nie etwas antun...
Sie sieht den Horizont in ihrem Rücken grau werden. Aus Furcht ist sie zu dem Schluss gekommen, es sei am besten, tagsüber zu schlafen. Sie beschließt, Mick bei Anbruch der Morgendämmerung zu wecken.
»Jolly Roger, kommen. Hier Alpha-Zulu-drei-neun-sechs, ich rufe Jolly Roger, bitte kommen...«
Dominique greift nach dem Funkgerät. »Hier Jolly Roger; ich höre, Alpha-Zulu.«
»Wie geht’s dir, Schatz?«
»Ganz gut. Was ist passiert? Du klingst ganz durcheinander.«
»Die Behörden haben SOSUS abgeschaltet. Sie behaupten, es sei bloß ein technisches Problem, aber das glaube ich noch nicht mal ansatzweise.«
»Verdammt. Was meinst du, wieso...«
» Ahhhhh... Ahhhhhhh... « Micks Schreie sind so furchtbar, dass Dominique das Blut in den Adern gefriert. »Um Himmels willen, Edie. Ich ruf dich gleich zurück.«
»Waren das Schreie?«
»Mach dir keine Sorgen. Ich melde mich gleich wieder.«
Sie schaltet das Funkgerät aus und rennt die kurze Treppe hinab, nicht ohne auf dem Weg mehrere Lichter anzuknipsen.
Mick sitzt aufrecht in der Eckkoje wie ein erschrockenes, verwirrtes Tier. Seine schwarzen Augen sind geweitet und glänzen im Licht der nackten Birne, die über seinem Kopf pendelt.
»Mom?« Die Stimme ist heiser.
Er hat schreckliche Angst.
»Mick, es ist alles gut...«
»Mom? Wer ist da? Ich kann dich nicht sehen...«
»Mick, ich bin’s, Dominique.« Sie schaltet zwei weitere Lampen an, dann setzt sie sich auf die Bettkante. Die Muskeln seines nackten Oberkörpers sind angespannt und in kalten Schweiß gebadet. Sie sieht seine Hände zittern.
Noch immer verwirrt, schaut er ihr in die Augen. »Dominique?«
»Ja. Was ist denn?«
Er starrt ihr ins Gesicht, dann lässt er den Blick durch die Kabine schweifen. »Ich
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