2012 - Schatten der Verdammnis
füllen sich erneut mit Tränen. »Ein zehnjähriges Kind, Dominique.«
»Unsere Welt ist krank...«
»Genau. Unsere Welt ist tatsächlich krank. Das gesellschaftliche Gefüge leidet unter dem Einfluss einer übel wollenden Instanz, einer Art Krebs, und wir suchen an den völlig falschen Orten danach. Charles Baudelaire hat einmal gesagt, die größte List des Teufels sei es, uns davon zu überzeugen, dass er nicht existiere. Dominique, ich kann spüren, wie dieser Einfluss immer stärker wird. Ich spüre, wie er sich nähert, während sich das galaktische Tor immer weiter öffnet, je näher wir der Wintersonnenwende kommen.«
»Und was ist, wenn sich diese böse Macht in drei Wochen doch nicht zeigt? Was wirst du dann tun?«
Mick schaut verdutzt drein. »Was meinst du damit?«
»Wie, hast du nie die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass du Unrecht haben könntest? Mick, du hast dein ganzes Leben danach ausgerichtet, diese alte Maya-Prophezeiung zu entschlüsseln, um die Menschheit zu retten. Dein Bewusstsein, deine ganze Identität sind von Glaubenssätzen bestimmt, die dir deine Eltern eingeflößt
haben. Verstärkt werden sie wahrscheinlich von irgendeinem Trauma, das du erlebt hast und das dich in deinen Träumen peinigt. Man muss nicht Sigmund Freud heißen, um zu erkennen, dass das Wesen, das du spürst, sich in dir selbst befindet.«
Micks Augen weiten sich, als ihre Worte ihm ins Bewusstsein dringen.
»Was ist, wenn die Wintersonnenwende kommt und wir samt und sonders überleben? Was wirst du dann mit deinem Leben anfangen?«
»Ich... ich weiß nicht. Darüber hab ich noch nicht nachgedacht. Das habe ich mir einfach nicht erlaubt. Ich hatte Angst, dass ich mich sonst nach einem normalen Leben sehnen und das, was wirklich wichtig ist, irgendwann aus den Augen verlieren würde.«
»Wirklich wichtig ist, dass du dein Leben voll und ganz lebst.« Sie nimmt seine Hand in ihre. »Mick, benutz deinen fantastischen Verstand doch dazu, in dich hineinzuschauen. Man hat dich von Geburt an einer Gehirnwäsche unterzogen. Deine Eltern haben dich dazu verdammt, die Welt zu retten, aber die Person, die wirklich gerettet werden muss, heißt Michael Gabriel. Du hast dein ganzes Leben damit verbracht, Hirngespinsten hinterherzujagen. Und jetzt müssen wir dich davon überzeugen, dass diese Hirngespinste gar nicht existieren.«
Mick lässt sich zurücksinken und blickt in den Nachmittagshimmel, während ihm Dominiques Worte in den Ohren klingen.
»Mick, erzähl mir von deiner Mutter.«
Er schluckt, dann räuspert er sich. »Sie war meine beste Freundin. Sie war meine Lehrerin und meine Gefährtin, meine ganze Kindheit über. Während mein Vater wochenlang weg war, um in der Wüste von Nazca zu forschen, hat meine Mutter mir ihre Wärme und Liebe geschenkt. Als sie starb...«
»Wie ist sie gestorben?«
»An Bauchspeicheldrüsenkrebs. Den hat man entdeckt, als ich elf war. Als es aufs Ende zuging, hab ich sie gepflegt. Sie ist so schwach geworden... der Krebs hat sie bei lebendigem Leib aufgefressen. Ich hab ihr vorgelesen, um sie von den Schmerzen abzulenken.«
»Shakespeare?«
»Ja.« Er setzt sich auf. »Ihr Lieblingsstück war Romeo und Julia. >Der Tod, der deines Odems Balsam sog, hat über deine Schönheit nichts vermocht...<«
»Wo war dein Vater damals?«
»Wo schon. Draußen in der Wüste von Nazca.«
»Haben sich deine Eltern geliebt?«
»Sehr. Sie haben sich immer als verwandte Seelen bezeichnet. Als sie starb, hat sie sein Herz mit ins Grab genommen. Einen Teil von meinem auch.«
»Wenn dein Vater sie so sehr geliebt hat, wie hat er sie dann verlassen können, als sie starb?«
»Meine Eltern haben mir gesagt, ihre gemeinsame Mission sei wichtiger und sinnvoller, als herumzusitzen und zuzuschauen, wie der Tod den Körper meiner Mutter in Besitz nimmt. So hab ich schon früh erfahren, was Schicksal bedeutet.«
»In welcher Hinsicht?«
»Meine Mutter glaubte, manche Menschen seien mit besonderen Gaben gesegnet, die ihren Lebensweg bestimmten. Mit diesen Gaben, meinte sie, sei eine große Verantwortung verbunden. Solche Menschen müssten große Opfer bringen, um ihren Weg zu gehen.«
»Und sie hat auch geglaubt, dass du solche Gaben besitzt?«
»Ja. Sie hat gesagt, ich hätte von Seiten ihrer Ahnen mütterlicherseits eine einzigartige Einsicht und Intelligenz geerbt. Wer diese Gabe nicht besitzt, hat sie mir erklärt, kann das nie verstehen.«
Mein Gott, Micks Eltern haben ihn wirklich
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