Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition)

2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition)

Titel: 2012 - Tag der Prophezeiung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian D'Amato
Vom Netzwerk:
wenigerals einem halben Tag zum See durchgebrochen; dank ihrer großen Mannschaftsstärke hatte sie die Brücken sperren und die Halbinsel und den Tempelbezirk vom Festland abschneiden können. Am späten Abend hatten die Harpyien-Geblüte den größten Teil der Ozelot-Gebäude rings um sich zum Einsturz gebracht. Jetzt – an 13 Adler, meine ich –, wurde nicht mehr ernsthaft gekämpft; nur im Norden und im Westen qualmten noch ein paar Feuer, wo den Ozelots verbundene Sippen ihre Getreidespeicher in Brand gesteckt hatten.
    Trotzdem wusste ich noch immer nicht so recht, was los war. Hatte Koh tatsächlich gesiegt? Hatte sie wirklich das Kommando? Hatte 2-Juwelenbesetzter-Schädel ernsthaft verloren? Was war aus 9-Reißzahn-Kolibri geworden? Wie hatte Koh nach dem Ballspiel überhaupt entkommen können? Hatte sie nicht mitten zwischen den Ozelot-Geblüten gestanden? Die alle nur darauf aus waren, sie gefangen zu nehmen?
    Ich schloss mein Auge. Versuch es jetzt gar nicht erst zu verstehen, dachte ich. Die Antworten auf diese Fragen, und noch weitere …



(49)
    »Blut atmet nun der südöstliche Gipfel«,
    sang der Hochzeitssymposiarch.
    »So entfaltet den neugeborenen
    Sonnenäugigen Rächer, den Herrn der Morgendämmerung,
    1-Türkiser-Ozelot. Seht nun Kaltwärts,
    Und nun Weißwärts, nun Bekanntwärts,
    Nun unterwerft euch ihm und seht das Unbekannte.«
    Tatsächlich war der orangerote Dampf, der mich völlig einschloss, so warm, dass ich mich wie neugeboren fühlte, als sie mich aufhoben. Und als sie begannen, die herausquellenden Maden mit Muschelschalen von meiner offenporigen geschwollenen Haut zu pflücken, fühlte es sich an, als meißelten sie mich aus einer protostellaren Gaswolke frei. Der zweite Raum erinnerte an ein Tepidarium, war kühler und heller als das Schwitzbad, und durch sein Fenster drang schiefergraues Leuchten, das die Morgendämmerung ankündigte. Der Schlag war hier klarer, obwohl ich ihn nicht mehr zu hören brauchte, denn es kam mir vor, als hätte sich mein Herz dauerhaft auf ihn eingestellt. Mittlerweile war es so, als tickte die Welt ewig so weiter. Zumindest bis 4 Ahau 2012. Meine Kostümierer rieben eine Grundierung aus Harpyienadleröl in mein schwammiges weißes Fleisch und begannen mich anzukleiden oder eher einzuwickeln. Sie banden meinen langen wex aus roter Baumwolle mit einem komplizierten Knoten im Frauenstil zu, der wie ein Kissen in meinem Kreuz hing, einem Knoten, der nur bei Hochzeiten benutzt wurde. Hier wird man immer entweder angezogen oder ausgezogen, dachte ich. Immer ist es vorher odernachher; entweder bereitet man sich vor, ein Opfer darzubringen, oder man kommt gerade von einer Opferung und macht sich für die nächste fertig. Die eigentliche Sache ist dann ruck, zuck erledigt. Sie schoben mir einen neuen Stift in die Lippe, einen weiblichen, und befestigten neue Stachelausternschalen an den Ohren. In meine leere Augenhöhle kam ein bestickter, mit Betäubungsmittel gespickter Kräuterball, der die Tränen aufsaugen sollte.
    Ich würde im Frauenfummel auftreten und Koh in Männerklamotten, weil wir ein sonnenweissagendes Paar sein würden. Das heißt, wir waren beide Vatermütter. Ich schätze, so ein Transvestismus bei einer Hochzeit klingt ein bisschen schräg, aber selbst im 21. Jahrhundert sieht man manchmal Maya-Schamanen, die bei Erntefesten Frauenkleider tragen. Außerdem musste es, wie so vieles, so und nicht anders getan werden. In einer Hinsicht konnte ich mir sicher sein: dass Koh jede Einzelheit aufs Genauste abgeklopft hatte.
    Koh musste mich heiraten. Oder sagen wir besser, sie musste den Ahau und K’alomte’ von Ix heiraten. Die klassische Maya-Welt war nicht so misogyn wie etwa die islamische Gesellschaft, aber eine Frau, die etwas bestimmen wollte, musste es über ihr Mannsvolk tun. Im besten Fall, zum Beispiel nach den Traditionen von Yaxchilán oder Ix, musste sie dazu Witwe des Ahaus sein. Und genau das wäre Koh in ein paar Monaten. Ich säße genauso fest wie der Thunfisch in der Dose, während sie nach wie vor munter herumspränge. Wenn sie ein männliches Kind von mir empfing, wäre das für sie umso besser – sie könnte herrschen, bis er im Alter von fünfzehn oder sechzehn zum Geblüt würde, und dann könnte sie ihn immer noch an ihre Huipil-Bänder binden. Falls das nicht klappte, konnte sie entweder ein Ozelot-Baby adoptieren oder eine Schwangerschaft vortäuschen und sich irgendeinen Säugling vom Sklavenmarkt aussuchen.

Weitere Kostenlose Bücher